Einsame Spur (German Edition)
machen.«
»Gehen Sie.« Ein kurzes Zögern. »Vasquez?«
»Sir.«
»Sie waren immer loyal. Das werde ich nicht vergessen.«
»Die Makellosigkeit wird unsere Rettung sein.« Vor Silentium waren die Vorväter von Vasquez Mörder und Psychopathen gewesen. Silentium hatte sie gerettet. »Ich werde unsere Leute in Bewegung setzen.«
Ganz egal, wo jemand lebte oder welcher Gattung er angehörte, alle hatten mediale Nachbarn, Kollegen oder Geschäftspartner. Wenn die Makellosen Medialen sich dieses Mal erhoben, würden nicht nur die Medialen lernen, was Furcht war.
38
Riaz stieg aus dem Wasserfahrzeug, das ihn und Adria nach Venedig gebracht hatte, nachdem sie auf dem Flughafen Marco Polo gelandet waren. Beide hatten nur kleine Dufflebags mitgenommen. Zu dieser Jahreszeit war das Wetter mild, die nahende Dämmerung brachte diesige Luft mit sich und tauchte die alten Steinmauern der noch über der Wasserlinie befindlichen Gebäude in sanftes Licht.
Durch die sich verändernden Wasserstände der Adria und ein Unterseebeben, das die hölzernen Fundamente der Stadt schwer beschädigt hatte, lag der Großteil der Schönheit Venedigs inzwischen unter Wasser, doch einige der wundervollen Brücken hatten überlebt, manche erhoben sich inmitten breiter Wasserstraßen. Doch statt in Vergessenheit zu versinken, lebte Venedig weiterhin durch ein komplexes Netzwerk von Unterwasser-Biosphären.
Diese Lebensräume hatte ein Zusammenschluss von im und am Wasser lebenden Gestaltwandlern im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelt und aufgebaut. Eine große Anzahl von Mitgliedern der BlackSea-Gemeinschaft war immer noch in Venedig beheimatet, für Riaz’ Wolf allerdings besaß die Stadt eine klaustrophobische Atmosphäre, vor allem unter der Wasseroberfläche, denn für ihn waren die Lebensräume dort nur eine Art Gefängniss mit Schutzfunktion.
»Venedig hat mich schon immer fasziniert.« Adria ging auf der »schwimmenden« Straße, die sich bei steigendem Wasser hob, und bewunderte unverhohlen alles, was sie umgab. »Hier gibt es so viel Geschichte, dass man fast glauben könnte, die Stadt flüstere andauernd mit einem.«
Obwohl ihn schmerzhafte Erinnerungen mit Venedig verbanden, wurde Riaz doch von Adrias Freude angesteckt. »Du solltest die Stadt erst einmal im Karneval sehen.« Kurz vor dem letzten Karneval war er Lisette zum ersten Mal begegnet und hatte nichts anderes mehr tun können, als während der Festlichkeiten unaufhörlich nach ihr zu suchen.
Im Schatten des Alkovens eines moosbewachsenen Gebäudes und verborgen unter einer halben Maske hatte er sie mit ihrem Mann tanzen sehen, beide sprühten über von einer Lebendigkeit, die die ganze Stadt erfasst hatte. Lisette trug ein Kleid in Schwarz und Rot, eine spanische Flamenco-Tänzerin auf venezianischem Boden, ihr blondes Haar war glänzend schwarz gefärbt.
»Steht schon auf meiner Liste.« Adrias heisere Stimme schlich sich in seine Erinnerungen, so verschieden von Lisettes hohem Sopran mit französischem Akzent. »Nach Mardi Gras in New Orleans, dem Inka-Pfad, dem Taj Mahal –« Als sie seinen Blick wahrnahm, hielt sie mitten im Satz inne, und eine leichte Röte überzog ihre Wangen. »Tut mir leid, ich rede wohl zu viel.«
»Nein, rede nur weiter.« Wieder wurde ihm bewusst, wie wenig er von ihr wusste, und das faszinierte ihn.
»Wie wär’s, wenn du mal etwas erzähltest?«, fragte sie und legte den Kopf ein wenig schief, als sie einen Abstecher machten, um die Taschen im Hotel abzugeben. »Du warst lange weg. Erzähl mir von den Orten, an denen du gewesen bist, was es dort zu sehen gab.«
Riaz fuhr sich mit der Hand durchs Haar und überlegte. Er war in Europa stationiert gewesen, hatte aber auch Asien und Teile von Afrika bereist, dabei aufregende Abenteuer erlebt, die ihn verändert hatten. »Einmal hat mich in Indien der Monsun überrascht«, sagte er und wählte mit Bedacht ein Ereignis, das sie zum Lachen bringen würde, denn wenn Adria lachte … schmerzten die wunden Stellen in ihm weniger. »Der Mann fand es großartig, aber der Wolf war weniger beeindruckt.« Er schüttelte sich, als würde er Tropfen aus dem Fell schütteln.
In Adrias Lachen hörte man die Wölfin, die Goldfäden in ihren Augen glitzerten in der Abendsonne. »Das kann ich mir vorstellen. Bist du bis nach Nepal gekommen und hast auch Kathmandu besucht?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich war gerade auf dem Weg dorthin, als ich nach Rom gerufen wurde, um mich um
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