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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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klar, wie schwer er es hatte. Es lag eine Wolke aus Angst und Zerbrechlichkeit über Gunilla, Eigenschaften, von denen bei dem selbstständigen, schönen Mädchen, das er vor drei Jahren kennengelernt hatte, nicht die geringste Spur zu finden gewesen war. Er erinnerte sich, wie er Tomas beneidet hatte, dass er gedacht hatte, selbst nie so eine Frau wie Gunilla zu finden, aber heute hatte er ein ganz anderes Gefühl. Es war schwer, kein Mitleid mit ihnen zu empfinden. Sie hatten innerhalb von zwei Jahren zwei Kinder verloren, keinem von beiden war es gelungen, auch nur über die Schwelle des Lebens zu kommen, und es war klar, dass so etwas sehr schmerzhaft sein musste. Ungemein schmerzhaft. Rickard und Anna hatten noch nicht darüber gesprochen, ob sie ein Kind wollten, aber er fühlte, dass Gunillas traurige Schwangerschaften Anna noch mehr zögern ließen als
vorher.
    Aber auch wenn Dinge geschahen und sich etwas veränderte, so wusste er doch, was er von Tomas und Gunilla zu halten hatte. Anders war es mit Maria und Germund. Total anders. Tomas sagte gern, dass die beiden zwei Ausnahmemenschen waren, und was auch immer das bedeuten sollte, so war es auf jeden Fall eine passende Bezeichnung. Rickard kannte die beiden seit drei Jahren – oder besser gesagt, es waren drei Jahre vergangen, seit er sie das erste Mal gesehen hatte –, aber man konnte irgendwie nicht behaupten, dass man Menschen wie Germund und Maria kannte. Sie waren unberechenbar, und vielleicht setzten sie ja auch alles daran, das zu sein. Es war nie vorhersehbar, was sie sagen oder wie sie in einer bestimmten Situation reagieren würden. Rickard wusste, dass sie fast keine anderen Kontakte hatten, abgesehen von dem Quartett, mit dem sie sich jetzt auf Reisen befanden. Beziehungen zu anderen Menschen schien nichts zu sein, was in ihre Gedankenwelt gehörte oder was sie bekümmerte. Nicht im Geringsten. Vielleicht zierten sie sich nur. Der Versuch, originell und etwas Besonderes zu sein, war nicht ungewöhnlich bei jungen Menschen. Rickard war unter den Theologen schon auf viele dieser Sorte gestoßen – je schräger, umso besser, so konnte es einem manchmal erscheinen –, aber in Marias und Germunds Fall gab es keine Spur von derartigen Anstrengungen. Absolut nicht.
    Ausnahmemenschen, wie gesagt.
    Er verließ das Wasser, die Kröten und Gottes Stimme und spazierte über das taufeuchte Gras zurück zum Bus. Schob die hintere Tür auf, und es war nicht zu überhören, dass sie hinter den Gardinen links dabei waren, sich zu lieben, Germund und Maria. Er selbst und Anna hatten sich so leise wie möglich verhalten, was zweifellos eine Art Würze bedeutet hatte, aber die Ausnahmemenschen kamen gar nicht auf diese Idee. Rickard konnte Maria ziemlich laut stöhnen hören, irgendwie jammernd und froh zugleich, er spürte, wie er wieder geil wurde, und plötzlich gestand er sich ein, dass er sie gern betrachtet hätte.
    Ja, er hätte gern hinter diese Gardine gespäht, gesehen, wie Germund in Maria eindrang, wie sie schamlos und laut vögelten. Bei dem Gedanken schämte er sich, dass er rot wurde, aber seine Erektion blieb. Er kroch neben Anna, lag lange da und versuchte, nicht auf diese hemmungslose erotische Musik zu lauschen. Was natürlich zwecklos war. Als es endlich klang, als hätte Maria einen Orgasmus bekommen, war auch Anna wach. Sie drehte sich zu ihm um, und an ihrer Stimme konnte er hören, dass sie in der Dunkelheit lächelte.
    »Noch einmal?«, flüsterte sie. »Das da hinten erregt mich tatsächlich ein bisschen.«
    Und zum zweiten Mal in dieser ersten Busnacht liebten sie sich. Nicht ganz so leise wie beim ersten Mal, und Rickard dachte, dass es der schönste Beischlaf war, den sie jemals gehabt hatten.
    Außerdem dachte er, dass seine Ehefrau ein wunderbares Mysterium war. Aus dem vorderen Teil des Busses war die ganze Nacht über nicht ein Laut zu hören.

34
    K riminalassistent Claes-Henrik Wennergren-Olofsson hatte die längste Namensbezeichnung im Polizeigebäude von Kymlinge, und da er gern noch seinen Dienstgrad hinzufügte – vor dem Namen oder nachgestellt –, brauchte er meistens eine halbe Minute und zwei Zeilen, um fertig zu werden.
    Alexander Tillgren, auch er Kriminalassistent, aber mit sechs Dienstjahren weniger auf dem Buckel, fand aus guten Gründen, dass Wennergren-Olofsson ein Idiot war. Zumindest war er der Meinung, dass seine Gründe gut waren, aber der Kollege war größer, stärker und außerdem mit einem

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