Einsamen
zögerte einige Sekunden, dann ging er hinunter und setzte sich auf einen Stein am Wasser.
Er faltete die Hände und hatte das Gefühl, dass Gott ihn sah. Dass er sie alle sah – ihn selbst und Anna, Tomas und Gunilla, Maria und Germund – und dass er seine schützende Hand über sie hielt. Er erlebte es nicht oft, dass ihm derartige Gedanken kamen. Theologie zu studieren und Gottes Nähe zu spüren, das waren zwei sehr verschiedene Dinge, es war nicht das erste Mal, dass er sich diese Gedanken machte. Wie Brot backen, ohne es zu essen ungefähr, oder wie Trockenschwimmen. Aber jetzt wurde er von einem starken, naiven Gottesgefühl erfüllt, das – genau wie diese starke Vorfreude auf der Fähre am Morgen – offensichtlich seine Wurzeln in der Kindheit hatte. Das Einfache und das Reine.
Und er betete. Betete für sie alle und für eine weiterhin sinnvolle Reise durch Europa, und irgendwie lag es an dem fließenden Wasser, vielleicht auch an den quakenden Kröten, er begriff, dass es tatsächlich Gottes Stimme war, die auf überraschende Weise zu ihm kam. Gottes Stimme und Gottes offenes Ohr.
Es war ein Erlebnis, das ihm ganz und gar allein gehörte. Nichts mit Bildern und Gleichnissen, die aus der zukünftigen Priesterrolle hervorgeholt wurden, und er fragte sich, warum diese Grenzziehung ihm so offensichtlich und gleichzeitig notwendig erschien. Aber, wie gesagt, gewisse Dinge begriff man, ohne zu wissen, wie man sie begriff.
Er dachte natürlich auch an Anna. Daran, wie schnell sie geheiratet hatten. Er fragte sich immer noch, was ihn eigentlich dazu gebracht hatte, an diesem Abend Anfang Mai um ihre Hand anzuhalten, es war vollkommen spontan über ihn gekommen, und hinterher, kurz vor der Trauung, hatte Anna ihm bekannt, wie es ihr ergangen war. Dass sie über seine Frage genauso verwundert gewesen war wie über ihr eigenes Ja. Sie hatten beide darüber lachen müssen und waren sich einig, dass es so im Leben sein sollte – das Spontane und das Unreflektierte war das, was auf lange Sicht Erfolg hatte.
Anna war es den ganzen Frühling und Frühsommer über gut gegangen. Es war nicht nur die Eheschließung, die ihre Beziehung vertieft hatte, vielleicht war es einfach nur die Zeit selbst gewesen, die für sie gearbeitet hatte. Man wächst zusammen, wie Rickard häufiger dachte. Man lernt die Gewohnheiten und Eigenheiten des anderen kennen, das ist es, worauf eine dauerhafte Liebe gründet. Anna hatte außerdem ein paar Artikel veröffentlichen können: in Vår Bistad und in Metallarbetaren , zweifellos war es wichtig für sie, auch im beruflichen Bereich eine Bestätigung zu bekommen. Sie hatte sogar das Angebot für ein Sommerpraktikum bei der Östersundsposten erhalten, aber die Wohnungsfrage und die Forderung, dass sie bis Ende August hätte bleiben müssen, hatten sie ablehnen lassen. Stattdessen war sie für sechs Wochen zu ihrem Krankenschwesterhelferinnenjob im Krankenhaus zurückgekehrt. Rickard hatte ebenso lange in einem Postamt in Svartbäcken gearbeitet – wenn nichts Unvorhergesehenes eintraf, dann hatten sie zumindest eine Reisekasse, die ausreichen sollte. Hoffentlich auch noch ein paar Tausender dazu, um das Studiendarlehen im nächsten Semester aufstocken zu können.
Die erste Rate für den Buskredit war nicht vor Januar fällig, das erschien angenehm weit weg. Wenn alles klappte, wie Tomas es sich gedacht hatte, dann würden sie es sogar noch schaffen, im Herbst einiges an Geld durch Billigfahrten nach Norrland hereinzubekommen. Tomas und Germund konnten jedes zweite Wochenende fahren, vielleicht konnte Rickard sich darüber hinaus auch noch einen Busführerschein besorgen.
Eine Zeitlang dachte er über die anderen nach, während er an dem fließenden polnischen Wasser saß, und er fragte sich, auf welche Art und Weise diese Reise wohl die Beziehungen der Beteiligten verändern würde. Was nicht so leicht zu sagen war. Eigentlich war die Beziehung zwischen Tomas und Gunilla wohl ebenso sicher wie die zwischen ihm selbst und Anna, aber Gunilla hatte ein schweres Jahr hinter sich. Nach einem totgeborenen Kind im Oktober hatte sie ein paar Monate in Ulleråker verbracht, war zwar im Januar in die Sibyllegatan zurückgekehrt, aber soweit Rickard wusste, war sie das ganze Sommersemester über krankgeschrieben gewesen. Auf jeden Fall hatte sie nicht studiert, und auch wenn Tomas nicht gern über ihren Zustand sprach und sich nicht bei den anderen darüber beklagte, so war es Rickard schon
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