Einsamen
natürlich keine geradlinige Wanderung von dem einen Zeitpunkt zum anderen – und auch nicht zum dritten und vierten und so weiter. Es verlief in Wellen und Schlenkern, vielleicht gab es ja eine Richtung, es gefiel ihr, sich das vorzustellen, aber immer gab es Mulden, und in so einer Mulde konnten alte Dinge wieder hervortreten. Traumata und Trauer und alles Mögliche, das wir nicht endgültig unter den Teppich kehren können. Gerade wenn wir am schwächsten sind, fangen unsere Narben an zu bluten, das wusste sie. Das sind die Momente, in denen uns das Alte und das Dunkle zu packen kriegen und ihren Schlagschatten auf uns
werfen.
So dass wir nicht weitermachen können.
So dass wir vielleicht sogar beschließen, nicht länger leben zu wollen? Nicht einmal, wenn uns eine Parisreise in nur einer Woche winkt?
Weil es doch nicht der Mühe wert ist.
Konnte es sich nicht trotz allem so verhalten? Sie schaute über die Baumwipfel unten in der Schlucht und dachte nach. Konnte es nicht so sein, dass Germund Grooth einfach an diesem Samstagmorgen genug von allem hatte? Aus irgendeinem unbekannten Grund. Oder als Folge dieses Telefongesprächs? Einen Zug oder ein Taxi genommen hatte oder was immer es auch gab, um nach Kymlinge zu kommen und der Sache ein Ende zu setzen?
Mit seiner Maria vereint zu werden, wie schon gesagt. Mit ihr, die er geliebt und verloren hatte, als er erst sechsundzwanzig Jahre alt gewesen war. Die einzige Liebe seines Lebens?
Eva Backman kletterte den Pfad hinunter. Denselben Pfad, den sie vor fünfunddreißig Jahren benutzt hatten, denselben Pfad, den sie letzte Woche benutzt hatten. Er war nach dem Regen etwas rutschig, aber trotzdem war es nicht besonders schwierig, voranzukommen.
Wenn er tatsächlich ein Taxi genommen hat, dachte sie. Wenn man das nun einmal annimmt. Von Kymlinge aus oder ganz von Lund … und dann hier irgendwo in der Nähe herausgelassen wurde. An der Alhamra-Kreuzung oder wie die noch hieß … war das nicht ganz einfach die wahrscheinlichste Lösung?
Hatten sie das mit den Taxen überprüft?
In Kymlinge, ja, aber nicht in anderen Orten der Umgebung. Er hätte ja von irgendwo anders herkommen können. Von Göteborg oder Trollhättan oder woher auch immer.
Sie notierte sich das auf ihrem mentalen Notizblock. Taxis überprüfen!
Und dieses Telefongespräch konnte ja alles Mögliche gewesen sein. Zum Beispiel eine falsche Nummer.
Aber dann sprach man wohl nicht … wie lange war es gewesen? … dreiundvierzig Sekunden? … mit jemandem, der sich nur verwählt hatte?
Sie gelangte an die Stelle, an der Germund Grooth gelegen hatte. Davon war jetzt, acht Tage später, keine Spur mehr zu sehen. Sie wusste, dass die Spurensicherung gründlich gearbeitet hatte. Um nicht zu sagen penibel. Sie hatten sowohl das Gelände oben auf der Klippe als auch hier unten durchkämmt. Und nichts gefunden, abgesehen von Grooths Brieftasche, die offenbar aus seiner Jacke gerutscht und in einer Spalte zwischen ein paar Steinen gelandet war, als er fiel. Es hatte mehr als einen Tag gedauert, ihn zu identifizieren, aber das war natürlich nichts Außergewöhnliches.
Nichts war besonders außergewöhnlich, stellte sie energisch fest. Es gab hier draußen kein Zeichen, das einen Hinweis darauf hätte geben können, was passiert war. Keine Streichhölzer, keine Zigarettenstummel, wie in alten Kriminalromanen oder Filmen, nein, wenn Germund Grooth tatsächlich ermordet worden sein sollte, dann hatte der Mörder jedenfalls nicht hier draußen am Todesfelsen gestanden und rauchend auf ihn gewartet.
Wenn es jemals einen Todesfelsen gegeben hatte, wie gesagt, das war auch so eine Frage, die nicht abschließend beantwortet werden konnte.
Auch keine Fußabdrücke. Nicht vor einer Woche und schon gar nicht jetzt. Der Boden oben auf dem Abhang war ziemlich fest, und dort, wo der Körper gelandet war, war er steinig. Andernfalls hätten sie überleben können, dachte sie. Sowohl Maria Winckler als auch Germund Grooth. Sie spähte die senkrechte Felswand hinauf und versuchte, die Fallhöhe abzuschätzen.
Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Meter, die genaue Zahl war sicher irgendwo notiert. Vielleicht konnte man so einen Fall überleben, wenn man nur einigermaßen weich fiel. Mit diversen Knochenbrüchen war wohl zu rechnen, aber schon ein ausreichend großes Preiselbeergestrüpp könnte wohl so viel abfedern, dass man zumindest mit dem nackten Leben davonkam? Oder ein Fichtenschößling.
Sie zuckte mit
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