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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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den Schultern und machte sich wieder an den Aufstieg. Es war leichter hinaufzukommen als hinunter, und bald stand sie wieder an dem Punkt, von dem aus – zumindest soweit man das beurteilen konnte – die beiden Opfer ihren Schritt in den Tod getan hatten. Hinunter in den Tod.
    Den Abgrund. Vom Todesfelsen?
    Oder aber gestolpert waren. Oder aber gestoßen worden waren. Sie drehte sich um und betrachtete den umliegenden Wald. Versuchte sich vorzustellen, wie die verschiedenen Pilzsammler damals angelaufen kamen. Aus unterschiedlichen Richtungen, so schnell sie konnten, alle hatten ja den Schrei gehört, allen musste klar sein, dass etwas passiert war, und … und plötzlich war es Eva Backman klar, was ihr nächster Schritt in den Ermittlungen sein musste.
    Die Karte. Inspektor Sandlins Karte, auf der verzeichnet war, wo sich jeder befunden hatte, als Maria Winckler fiel.
    Es war doch wohl verdammt merkwürdig, dass nicht ein Einziger einen der anderen in seinem Blickfeld gehabt hatte? Musste nicht zumindest einer oder mussten nicht ein paar von ihnen einen der anderen gesehen haben? Warum waren sie so bewusst weit voneinander entfernt gelaufen? Das sah fast wie eine Übereinkunft aus.
    Nein, dachte Eva Backman. Jetzt spekuliere ich wieder.
    Aber Sandlins Karte, die war keine dumme Idee. Zufrieden, während ihres Ausflugs zumindest einen Entschluss gefasst zu haben, machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Auto.

41
    D ie ganze Zeit regnete es, und der Wind kam in Böen.
    Gunilla stand zwischen Tomas und Anna und versuchte ihre Herzschläge zu zählen. Sie hatte die Hand unter der linken Brust und konnte sie ganz deutlich spüren. Sie wusste nicht, warum sie das tat, aber sie wusste, dass sie in Ohnmacht fallen würde, wenn sie sich nicht mit etwas Neutralem beschäftigte.
    Und es würde nicht gerade eine Hilfe sein, wenn jemand ohnmächtig wurde.
    Die Männer diskutierten immer noch. Sie nickten einander zu, rauchten und musterten die Reisegruppe. Als Tomas ihr vorsichtig etwas zuflüstern wollte – oder vielleicht auch allen zugleich, sie schaffte es nicht zu verstehen, was er eigentlich sagen wollte –, brüllte einer ihrer Aufpasser los. Offenbar derjenige, der als Anführer fungierte, er ließ eine ganze Drohtirade vernehmen, von der sie nicht ein Wort verstanden. Aber die Botschaft war deutlich. Sie hatten still zu sein.
    Um ihrer selbst willen sollten sie dort an die Wand gepresst stehen bleiben und die Schnauze halten. Regungslos und gehorsam. Der Anführer zeigte auf seine Waffe. Ja, die Botschaft war mehr als deutlich.
    Sie begann wieder mit dem Zählen. Kam aber nie weiter als fünfzehn, zwanzig, dann verlor sie den Faden und musste von vorn anfangen. Fast konnte sie auch die Herzschläge der anderen fühlen, zumindest Annas, die dicht neben ihr stand. Es schien, als verstärkte der Regen den Puls. Den Angstpuls. Das Wasser lief ihr übers Gesicht, über ihre Haare und Schultern, das war natürlich bei allen so, und Gunilla dachte, dass sie das schon vorher gespürt hatte. Dieser Tag hatte bereits von Anfang an etwas Unheilvolles an sich gehabt. Die Stimmung, die unendlich lange Fahrt über die schlechten Straßen, alles.
    Gütiger Gott, dachte sie, sorge dafür, dass sie uns gehen lassen. Lass uns von hier fortkommen.
    Aber sie betete nicht, es waren nur Gedanken ohne Kraft und eigentlichen Willen, das spürte sie selbst. Sie hatte ja keinen Gott. Vielleicht hätte sie doch vor ein paar Tagen ein Gebet sprechen sollen, als sie dort in der Kirche gewesen war in … sie hatte vergessen, wie die Stadt hieß. Im Nachhinein empfand sie es wie einen Augenblick, der auf gewisse Weise verloren gegangen war. Schon die ganze Zeit hatte sie so empfunden. Eine Möglichkeit, die nicht genutzt worden war.
    Noch so ein merkwürdiger Gedanke. Vielleicht war es aber auch gerade ein Gedanke, der hier hingehörte. In die Dunkelheit, in den Regen, gepresst gegen eine Hauswand in einer fremden, beunruhigenden Stadt.
    Was auch immer, wenn dadurch nur die Angst in Schach gehalten wurde, dachte sie. Was auch immer.
    Sie fing wieder an zu zählen.
    Nach einer gewissen Zeit, die vielleicht zehn Minuten umfasste – vielleicht auch nur die Hälfte oder aber doppelt so viel –, waren sich die Männer in Uniform einig geworden.
    Der Anführer – er war ziemlich kurz gewachsen, sicher nicht größer als hundertsiebzig Zentimeter, dafür aber umso kräftiger gebaut – trat hervor und stellte sich zwei Meter vor die
Reisegruppe.

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