Einsamen
sie überhaupt funktionierte.
So einfach war das.
Gleichzeitig war es nicht so einfach, nicht wütend zu werden. Warum sollte sie sich schuldig fühlen, die Schuld lag doch bei diesen Männern? Sicher, Marias Tat war ein Opfer gewesen, aber musste das bedeuten, dass Gunilla dankbar sein musste? Für alle Ewigkeit?
Natürlich nicht, dachte sie jedes Mal, wenn sie die Tatsachen mit klarem Blick betrachtete – und gerechterweise musste man sagen, dass Maria es auch nie auf diese Art geäußert hatte. Sie hatte nie ein Wort zu der Sache gesagt. Oder geschrieben. Das hatte niemand, nur Gunilla selbst. Es war nicht so einfach, damit fertig zu werden.
Wurde noch schwerer durch die Tatsache, dass Maria nicht mehr zu erreichen war, seit es passiert war. Sie war vollkommen, hundertprozentig unerreichbar. Im Bus auf dem Heimweg und auch danach.
Es ist das Unausgesprochene, was so schwer ist, dachte Gunilla. Das, was wir nicht in Worte fassen, können wir auch nicht lösen.
Im Verlauf dieser Herbstmonate wachte sie ab und zu mitten in der Nacht auf und konnte nicht wieder in den Schlaf zurückfinden. Dann lag sie in ihrem neuen Doppelbett von Asko Finncenter, starrte in die Dunkelheit und versuchte über ihr Leben nachzudenken. Zwar ohne die tiefschwarzen Gefühle aus der Ulleråkerzeit, aber dennoch mit einer starken Unruhe.
Seit sie ihr Elternhaus in Karlstad verlassen hatte, waren nicht mehr als dreieinhalb Jahre vergangen, aber es erschien ihr so unglaublich weit entfernt.
Warum geschieht so viel?, fragte sie sich. Was bedeuten all diese Unglücksfälle?
Ein ehemaliger Verlobter, der sich das Leben nimmt? Zwei verlorene Kinder? Ulleråker? Die Ereignisse in Timisoara?
Es geht so schnell, dachte sie, so kann man doch nicht leben.
Germund und Maria? Wo waren sie geblieben?
Und Rickard und Anna, waren sie auch verschwunden? Tomas traf Rickard ab und zu, das wusste sie. Aber nie bei ihnen zu Hause in der Sibyllegatan, wie es früher gewesen war. Immer in der Stadt, in einem Café oder einer Studentenvereinigung. So hatte es sich ergeben, und es war ein Gefühl von … ja, wovon?
Andererseits hatte sie neue Bekannte. Mit zwei Mädchen aus ihren Spanischkursen, Britt-Marie und Karin, verstand sie sich seit dem ersten Tag gut. Es war diese Britt-Marie, für die sie Der Schnee war schmutzig von Simenon gekauft hatte – und beide kamen auch zu Besuch in die Sibyllegatan. Beide hatten einen Freund, Karin einen Amerikaner namens Dave, der die USA verlassen hatte, um nicht nach Vietnam gehen zu müssen, Britt-Marie einen ganz normalen Schweden namens Jörgen, der aus Hammerdal in Jämtland stammte.
Tomas trug das seine zu ihrem Sozialleben bei und brachte neue Personen mit nach Hause. Wie beispielsweise Ulrika und Dennis, die nur ein paar Straßen entfernt in Luthagen wohnten und Kind und Hund hatten, obwohl sie erst zweiundzwanzig und einundzwanzig Jahre alt waren. Der Hund war ein riesiger, unglaublich friedlicher Leonberger namens Johansson, das Kind ein einjähriger Junge, der Torsten hieß.
Gunilla war das erste Mal Mitte Januar 1973 Babysitter bei Torsten gewesen, und an dem Abend war ihr klar geworden, dass sie ihre beiden albtraumhaften Schwangerschaften überwunden hatte. Lussan und Aurora waren verloren gegangen, aber das war kein Trauma, das sie für den Rest des Lebens prägen würde. Trotz allem, Gott sei Dank.
Sie erinnerte sich an die Gedanken einer Schneeschmelze, die sie vor einem halben Jahr gehabt hatte. Es gab Zeichen, die darauf hindeuteten, dass diese jetzt vollendet war.
Es war auch im Januar 1973, aber Ende des Monats, dass die sechs Ostblockreisenden sich endlich wieder trafen. Es fand in der Sibyllegatan statt – wo sonst? –, und es war eine Art zwingende Notwendigkeit. Zumindest im Hinblick auf die Tatsache, dass es an der Zeit war, Ordnung in die Finanzen des Unternehmens »Qualitätsreisen« zu bringen.
50
E r wachte mit einem Ruck auf.
Drei weiß gekleidete Frauen standen um ihn herum und betrachteten ihn, und für einen Moment wusste er nicht, wo er war.
Doch dann fiel es ihm wieder ein. Offenbar hatte er sich irgendwann im Laufe der Nacht auf das leere Bett neben Mariannes gelegt, denn dort befand er sich jetzt. In Fötusstellung, die Hände unter den Knien. Jemand hatte ihn mit einer blauen Krankenhausdecke zugedeckt. Er schob die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Eine Sekunde lang wurde ihm schwarz vor Augen, doch dann überwand er das. Wischte sich Kinn und Wange
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