Einsamen
gelesen«, sagte Barbarotti und zeigte auf die Bücherregale, die zwei Wände voll bedeckten. Sicher an die zweitausend Bücher, wie er schätzte.
»Es gibt noch doppelt so viele unten im Keller«, sagte Berglund und setzte sich auf den anderen Sessel. »Ja, im Laufe der Jahre kommt so einiges zusammen.«
»Es tut mir leid, Sie noch einmal belästigen zu müssen«, sagte Barbarotti. »Mein herzliches Beileid zum Tod Ihrer Ehefrau.«
»Ihre letzte Zeit war ein einziges Leiden«, sagte Berglund. »Wir wollen nicht beklagen, dass es ein Ende gefunden hat.«
»Es ist auf jeden Fall eine schwierige Situation«, sagte Barbarotti.
»Ich habe gehört, dass Ihre eigene Ehefrau einen Unfall erlitten hat«, entgegnete Berglund, um das Thema zu wechseln. »Ihre Kollegin hat das erwähnt. Wie geht es ihr?«
Gunnar Barbarotti spürte, dass er eigentlich keine Lust hatte, darüber zu reden, er es aber wohl kaum vermeiden konnte. Nicht im Hinblick auf Rickard Berglunds Situation und das Gespräch, das sie letztes Mal geführt hatten.
»Sie nehmen an, dass sie wieder vollkommen gesund werden wird«, sagte er. »Wir hatten Glück.«
Berglund nickte. »Es gibt eine Vorsehung«, sagte er.
Es war natürlich nicht geplant, dass sie Lebensanschauungsfragen erörterten, aber nachdem Berglund nun einmal dieses Wort geäußert hatte, fühlte Barbarotti sich verpflichtet, etwas dazu zu sagen.
»Meinen Sie?«, fragte er. »Ich denke, ja, ich glaube auch, dass es so etwas gibt, aber ich … ich weiß nicht so recht, wie sie wohl beschaffen ist.«
»Vielleicht sollen wir das gar nicht wissen«, erwiderte Rickard Berglund und nahm seine Brille ab. »Eine Vorsehung, die wir verstehen, das wäre wohl etwas anderes? Etwas, das man berechnen und an das man Erwartungen knüpfen kann. Der Punkt ist doch, dass wir unser Leiden in andere Hände übergeben können, oder?«
Barbarotti sah ein, dass etwas an dieser Sichtweise dran war, und überlegte, was er sagen sollte. Er war hergekommen, um zu erfahren, wo Rickard Berglund sich an dem Samstag vor fast zwei Wochen aufgehalten hatte – und möglicherweise noch ein wenig weiter nachzubohren, was auf einem Pfarrhof 1975 geschehen war –, und plötzlich, gleich zu Anfang, hatte er das Gefühl, es gebe etwas viel Wesentlicheres. Auf jeden Fall konnte man es nicht einfach so beiseite schieben, wenn man der Sache schon einmal die Tür geöffnet hatte.
»Was diese Dinge betrifft, so bin ich nur ein Amateur«, sagte er. »Aber ich muss zugeben, dass es mich interessiert. Ich meine, es erscheint ja dumm, durchs Leben zu gehen und sich einzubilden, es wäre nicht wichtig.«
»So könnte man es vielleicht ausdrücken«, sagte Rickard Berglund und fuhr sich nachdenklich mit der Hand über Wangen und Kinn. »Haben Sie Kierkegaard gelesen?«
»Nein«, musste Barbarotti zugeben. »Ich habe Kierkegaard nicht gelesen.«
»Er war viele Jahre lang so etwas wie mein Hausgott. Unter anderem geht es bei ihm um die Stadien im Leben. Von der Passion über die Ethik zum Glauben und zur Erfüllung, aber ich will Ihre Zeit damit nicht vergeuden. Auf jeden Fall bleibt eine fortdauernde Frage.«
»Eine fortdauernde Frage?«, wiederholte Barbarotti.
»Sie ist bei allen Menschen zu finden, aber die meisten entscheiden sich dafür, sie zu ignorieren. Wie wir uns eigentlich unserem Leben gegenüber verhalten sollen. Unseren Handlungen und unserer Verantwortung. Das Christentum hat sich geirrt, so hoffnungslos geirrt. Wir müssten die Uhr um fast zweitausend Jahre zurückdrehen, um den Weg wiederzufinden. Das ist traurig, unsagbar traurig.«
Barbarotti erinnerte sich an eine ähnliche Formulierung aus ihrem letzten Gespräch und wusste wieder nicht so recht, was er sagen sollte. Rickard Berglund setzte sich seine Brille wieder auf und trank einen Schluck Kaffee.
»Ich habe bemerkt, dass Sie gar nicht aufnehmen, was wir sagen«, stellte er dann fest. »Und Sie machen sich keine Notizen. Warum wollen Sie mich eigentlich sprechen?«
»Es geht um Germund Grooth«, sagte Barbarotti und versuchte, seine Unschlüssigkeit wegzuräuspern. »Wir würden gern mehr erfahren. Warum er gestorben ist … vielleicht auch, was mit Maria Winckler passiert ist, damals vor fünfunddreißig Jahren.«
Rickard Berglund blieb eine Weile schweigend sitzen und schien nachzudenken. Er betrachtete seine gefalteten Hände. Barbarotti nahm einen Mandelkeks und wartete ab. Er stellte fest, dass er nicht unbedingt in Form war, um diese Art von
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