Einsamen
Festessen, die traditionell zur selben Zeit den Beginn des Frühlings markierten.
»Es ist vollkommen richtig, was unser Freund Rufus behauptet«, sagte Matti Kolmikoski, als Rickard sich wieder an den Tisch gesetzt hatte. »Aber er ist der Sache nicht wirklich auf den Grund gegangen. Wie üblich, wie man geneigt ist, hinzuzufügen.«
Er sprach mit deutlich finnischem Akzent, etwas, das alles, was er sagte, durchdachter und prägnanter erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war. Rickard hatte das schon häufiger gedacht. Wenn man plante, sein Leben auf der Kanzel zu verbringen, dann hatte man schon fast seine Schäfchen im Trockenen, wenn man Finnlandschwedisch sprach. Oder zumindest norrländischen Akzent, es gab da irgendwie so etwas wie Erz in der Sprache, der den süd- oder mittelschwedischen Dialekten fehlte.
»Es ist keineswegs gesagt, dass es eine Frage von Gegensätzen sein muss«, fuhr Kolmikoski fort. »Zwischen Glück und Sinn. Ich könnte beispielsweise niemals glücklich werden, wenn ich mein Leben nicht der Sinnsuche widmen würde. Ich denke, dass der Begriff Glück überhaupt ziemlich haarig ist und reichlich überschätzt wird. Utilitarismus ist zu simpel, wenn ihr mich fragt.«
»Kann schon sein«, nickte Rufus Svensson und raufte erneut seinen buschigen Bart. »Aber es gibt ja wohl niemanden hier am Tisch, der sich direkt zum Utilitarismus bekennt. Ich dachte, ich befände mich unter Christenmenschen.«
»Das tust du auch«, warf Sivert Grahn ein. »Aber ich bin ganz einer Meinung mit Matti. Für mich sind das fast Synonyme. Wenn ich nicht nach dem Sinn suchen darf, dann werde ich nicht eine Sekunde lang glücklich sein.«
Er war der Interessanteste in der Gesellschaft, wie Rickard fand. Wortkarg und ernst, aber nicht mit dieser laestadianischen Schwermut, die viele der Theologiestudenten prägte. Bescheiden und intelligent, machte selten viel Aufhebens von sich, folgte aber auch nie dem allgemeinen Strom. Nahm zu wichtigen Fragen immer eine persönliche Haltung ein. Rickard hoffte, dass der Kontakt zu ihm nicht mit dem Studium beendet sein würde, er konnte fast vor sich sehen, wie sie sich die Jahre hindurch gegenseitig stützen würden. Alle vier. Wie sie sich trafen und ihre Erfahrungen aus den verschiedenen Pastoraten und Umständen verglichen. Glaubens-, Lebens- und Ethikfragen noch in zwanzig oder dreißig Jahren diskutierten. Sich an die Uppsalazeit erinnerten.
»Du hast Recht, Sivert«, sagte er. »Zu leben bedeutet einen Sinn zu suchen. Das muss nicht für alle Menschen gelten, wir haben alle die freie Wahl. Aber für uns muss es so ablaufen. Zu glauben, dass es einen Gott gibt, bedeutet vor allem, zu versuchen, ihn zu verstehen, das ist genau das, was sowohl Mulholland als auch Erasmus schreiben.«
Die anderen nickten. Rickard hatte festgestellt, dass er genau das konnte: sich ein wenig im Hintergrund halten, vielleicht hatte er das sogar von Sivert gelernt, den Standpunkten und Argumenten der anderen zuzuhören und dann, wenn es an der Zeit war, die Diskussion zusammenzufassen.
»Hoppla«, sagte Rufus Svensson und schaute auf seine alte Zwiebel, die er aus der Westentasche zog. »Die Uhr ruft. Es tut mir leid, meine Herren, ich muss leider nach Hause und mich ums Abendmelken kümmern.«
Die anderen lachten. Rickard dachte, dass Rufus sicher ein ganz ausgezeichneter Pfarrer werden würde. Einer von der alten Sorte. Wenn man bereits mit vierundzwanzig eine derartige Jovialität entwickelt hatte, dann konnte es ganz einfach nur in die richtige Richtung weitergehen.
Sie trennten sich, und er ging die St. Olofsgatan zum Stadteil Kvarngärdet entlang. Es war Mitte Mai, die Traubenkirschen schlugen aus, der Frühsommerabend war schön, und das Semester sollte nur noch zwei Wochen dauern.
Noch eine einzige Prüfung, gleich Anfang Juni, dann war nur noch ein Jahr übrig. Schon merkwürdig. Es waren vier Jahre vergangen, seit er nach Uppsala gekommen war, und er erinnerte sich, wie er sich damals gefühlt hatte. Wie er am Bahnhof angekommen und durch die Stadt mit einem fast andächtigen Gefühl in der Brust gewandert war. Wie er die inzwischen so vertrauten markanten Punkte lokalisiert hatte – den Fyris, den Dom, die theologische Fakultät, die Carolina, den Schloss-
hügel – und wie er Tomas in der Konditorei Fågelsången kennengelernt hatte.
Und dann das Jahr auf der Unteroffiziersschule mit allem, was dazugehörte. Helge aus Gäddede, und wie er Anna kennengelernt hatte,
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