Einsamen
die rechte Hand in einer Geste, die nur den halben Weg zurückzulegen schien. Er blieb sitzen, die Handfläche zur Decke gereckt, die Finger gespreizt, als erwartete er, etwas von oben zu empfangen. Vielleicht war es auch genau das, was geschah.
»Na gut, wenn Sie so hartnäckig sind«, sagte er schließlich und senkte die Hand. »Aber vorher koche ich uns noch frischen Kaffee, oder?«
»Gern«, sagte Gunnar Barbarotti. »Ich hole inzwischen das Aufnahmegerät.«
Blindes Huhn auf dem Weg, ein Korn zu finden, dachte er. Dieser Gedanke war nicht neu und etwas irritierend, aber vielleicht konnte man das hier ja doch als einen Schritt in die richtige Richtung betrachten. Wobei die Blindheit an sich in Frage gestellt werden musste. Und im Laufe der Jahre waren es schon mehrere Körner gewesen.
»Sie haben angefangen mit der Frage nach dieser Übereinkunft«, begann Berglund. »Damals habe ich nichts gewusst. Ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging. Nicht die geringste, das hatten wohl nur die Betroffenen.«
Barbarotti nickte. Fragte sich, wer mit die Betroffenen wohl gemeint war, hielt seine Zunge jedoch im Zaum.
»Es hat tatsächlich fünfunddreißig Jahre gedauert. Können Sie sich das vorstellen? Fast fünfunddreißig Jahre, bis sie es mir erzählt hat. Dass man so lange zusammenleben kann und so ahnungslos ist. Und dass man so lange mit einer Lüge leben kann. Aber ihre Qual war größer als meine, das wollen wir nicht vergessen. Wenn ein Mann und eine Frau ihr ganzes Leben lang zusammen sind, dann entsteht mit der Zeit eine Art Balance. Unabhängig von den Ausgangspunkten. Es kann für Außenstehende schwer sein, das zu begreifen, aber man spürt, dass es so ist. Man begreift es.«
Er machte eine Pause und suchte Barbarottis Blick, um eine Art Bestätigung zu finden. Barbarotti überlegte, ob so eine Balancetheorie wirklich stimmen könnte, kam zu keiner Antwort und begnügte sich damit, noch einmal zu nicken.
»In gewisser Weise war sie sogar dankbar für die Krankheit«, fuhr Berglund fort. »Sie sah sie als eine wohlverdiente Strafe an. Unser Leben war verpfuscht, und sie trug die Schuld daran, und der Krebs war die Strafe dafür … ja, so ungefähr sagte sie es. Und ihr Bild ist in gewisser Weise Teil von meinem. Erst im Angesicht des Todes kamen wir einander wirklich nahe, so soll es natürlich nicht sein, aber in unserem Fall war es so, und das ist vielleicht auch eine Art Trost.«
»Ich glaube, Sie müssen mir das vom Anfang her erklären«, bat Barbarotti.
»Entschuldigung«, sagte Rickard Berglund. »Ich habe die Sachen vorweggenommen.«
«Wir haben alle Zeit der Welt«, erklärte Barbarotti und kontrollierte, dass sich das Band auch im Apparat drehte.
Rickard Berglund dachte eine Weile nach, schien den richtigen Anfang zu suchen. »Er hatte etwas Dämonisches an sich«, sagte er schließlich und lehnte sich zurück. »Ja, so würde ich es ausdrücken. Dämonisch.«
»Wer?«, fragte Barbarotti.
»Germund Grooth«, erklärte Berglund. »Germund Grooth ist der Kern des Ganzen, aber das brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu erklären.«
»Im Gegenteil«, widersprach Barbarotti. »Ich bitte darum, dass Sie mir das erklären.«
»Natürlich. Entschuldigen Sie.« Berglund hustete ein paar Mal in seine Faust, und dann begann er. »Ich habe ihn nie verstanden, und in den letzten Jahren, dieser allerletzten Zeit, da habe ich es wirklich versucht. Ich weiß, dass Ekelöf geschrieben hat, dass der Grund in dir auch der Grund in anderen ist, doch was Grooth betrifft, so gab es so etwas nicht bei ihm. Er ist … war … mir wesensfremd, so einfach ist das.«
Er seufzte und verstummte erneut für einen Augenblick. Barbarotti wartete ab.
»Es ist nicht besonders lustig, alt zu sein und zu fühlen, dass das eigene Leben zur Hölle wird«, stellte Berglund fest, und jetzt war auch ein Hauch von Wut in seiner Stimme zu hören. Außerdem war es der erste Fluch, der aus seinem Mund kam, Barbarotti konnte nicht umhin, das zu notieren.
»Man baut und baut«, fuhr er fort, »man sammelt Halme für dieses verfluchte Lebensnest, jahrein und jahraus, und man glaubt, dass man etwas im Laufe dieser Reise gelernt hat … dass diese Balance sich verfestigt. Zumindest das möchte man sich gern einbilden, oder?«
»Es ist nicht schlecht, wenn die Reise vorangeht«, sagte Barbarotti.
»Vollkommen richtig. Aber dem war in meinem Fall nicht so. Ich habe meine Berufung als Verkünder des Wortes aufgegeben, ich habe
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