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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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unterbrochenen Gedankengang fort. »Mit dem hier. Aber das war nicht der Plan.«
    Barbarotti faltete die Hände.
    »Und was war der Plan? Genauer gesagt.«
    »Das wissen Sie doch schon«, sagte Berglund. »Ihn zurückzuschicken und mit Maria zu vereinen. Den Kreis schließen. Anna sagte das gern in den letzten Tagen. »Wir müssen den Kreis schließen, Rickard«, erklärte sie immer wieder. »Das Böse einschließen.«
    Er verstummte und strich gedankenverloren mit den Fingerspitzen über den Revolver.
    »Fahren Sie fort«, bat Barbarotti. »Ich muss sagen, ich bin etwas verwundert über das … Ding da.«
    »Ich auch«, gab Berglund zu. »Zu einem Pfarrer passt eine Schusswaffe nicht so recht, nicht wahr? Nicht einmal zu einem abtrünnig gewordenen Pfarrer. Ich habe sie seit ein paar Jahren, ich weiß gar nicht genau, wieso ich sie an mich genommen habe, es war so eine Art sonderbare Eingebung, und dann ist sie also zum Einsatz gekommen …«
    »Sie haben sie an sich genommen?«, hakte Barbarotti nach.
    »Eine Haushaltsauflösung«, erklärte Berglund. »Ich habe die Wohnung eines Verstorbenen gesichtet, so etwas gehörte ja in den letzten Jahren zu meiner Arbeit, und da lag sie in einer Schublade in einem Kellerverschlag. Mit Munition und allem. Ich habe sie einfach in die Tasche gesteckt, Linderholm nichts davon gesagt, er selbst war zu der Zeit oben in der Wohnung beschäftigt … wenn ich sage, dass sie zum Einsatz gekommen ist, bedeutet das natürlich nicht, dass ich damit geschossen habe.«
    »Nein?«, fragte Barbarotti.
    Berglund räusperte sich und fuhr fort. »Ich hatte sie in der Jackentasche, als Germund die Tür an diesem Morgen öffnete, aber er ist freiwillig mitgekommen. Ich hatte den Eindruck, dass er ahnte, was ihn erwartete, aber vielleicht war das auch nur Einbildung. Ich bat ihn, den Wagen zu fahren, wir wechselten nicht viele Worte, ich erklärte ihm, dass Anna ihn noch einmal sehen wollte, bevor sie starb, das genügte. Er hätte ja Theater spielen und behaupten können, er wisse nicht, worum es ging, doch das tat er nicht. Er zuckte nur mit den Schultern und kam mit. Setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Wagen. Ich ließ mich auf dem Rücksitz nieder, hatte ihm erklärt, dass ich ein wenig schlafen müsste und es so bequemer wäre. Er wollte nicht reden, und als wir so dasaßen und auf der E6 Richtung Norden fuhren, war er ganz der Alte. Schweigend und irgendwie in sich gekehrt. Defensiv. Einmal fragte er, wie es ihr gehe, und ich antwortete, dass es ihr schlecht gehe und es nur noch eine Frage von Tagen sei. Erst als wir kurz vor Kymlinge waren, holte ich den hier heraus.«
    Er nickte zum Revolver und verzog die Mundwinkel in einem schiefen, kurzen Grinsen. »Er entdeckte ihn im Rückspiegel, und das Einzige, was er tat, das war ein leichtes Kopfschütteln. Ich kann nicht einmal sagen, ob er überrascht war. Ich erklärte, dass wir zur Gänseschlucht führen, er nickte und sagte, er wisse den Weg nicht mehr. Ich gab Anweisungen und dirigierte, wir kamen dort an und parkten an derselben Stelle wie vor fünfunddreißig Jahren. Stiegen aus dem Auto, ich zuerst, dann er, ich hielt die Waffe auf ihn gerichtet und ging drei Meter hinter ihm, und, ja, nach fünfzehn, zwanzig Minuten waren wir angekommen. Wir standen oben am Steilhang und hatten das Ende des Weges erreicht. ›Was ist damals passiert?‹, fragte er. ›Du kannst mir doch sagen, wie Maria gestorben ist, bevor ich sterbe?‹ Ich fragte ihn, ob Anna ihm während ihrer zahlreichen Liebestreffen im Laufe der Jahre nie erzählt hatte, wie es abgelaufen war … ich wusste natürlich, dass sie es nie getan hatte, und er schüttelte den Kopf. Dann sagte ich es ihm. Dass Anna sie getötet hat.«
    Rickard Berglund machte eine Pause und hob den Revolver hoch. Er betrachtete ihn, als versuchte er eine Art von Antwort aus ihm herauszulesen. Schob die Unterlippe vor und nickte vor sich hin.
    »Und?«, fragte Barbarotti.
    Berglund zuckte mit den Schultern. »Ja, was gibt’s da noch zu sagen? Ich hatte den Eindruck, dass er das irgendwie gewusst hatte, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Mir schien, dass er erbleichte und dass … ja, dass ihm die Luft ausging und er irgendwie in sich zusammenfiel. Aber jetzt, als wir endlich dort oben standen und alles kurz vor der Vollendung war, da erschien es nicht mehr wichtig. Es war, als würden mich die Trostlosigkeit und die Leere der ganzen Welt überwältigen. Leben und Tod, das

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