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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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schmächtig war sie. Trug eine Maojacke und ein Palästinensertuch, die übliche Kleidung für eine Demonstration. Rote Cordhose. Ungeschminkt.
    Aber Schuhe mit einem kleinen Absatz. Vielleicht um ein bisschen größer zu wirken, dachte Rickard. Diese Absätze waren schuld, dass sie umgeknickt war, das hatte er schnell begriffen. Sie sagte nichts, saß nur da und schaute ihren Fuß an. Rieb vorsichtig mit den Händen darüber und stöhnte dabei leise. Rickard bemerkte, dass Helge schräg hinter ihnen stand, er aber viel zu schüchtern war, um sich einzumischen.
    Auch sonst mischte sich keiner ein. Nur Rickard Berglund saß hier auf der Bordsteinkante neben dieser unbekannten Fußverdreherin und suchte nach Worten.
    »Willst du mal versuchen aufzustehen? Ich kann dich ja stützen, wenn du willst.«
    »Danke. Aber ich glaube, ich warte erst noch ein bisschen ab.«
    »Und die Demo? Willst du …?«
    »Auf die pfeife ich. Bist du auch mitgegangen …?«
    »Nein, ich habe nur zugeguckt.«
    »Ach so. Nein, mit diesem Fuß kann ich sowieso nicht zum Vaksala Platz gehen.«
    Sie hatte sich den Schuh ausgezogen, er sah, dass der Knöchel bereits deutlich angeschwollen war. Die letzten Demonstranten gingen an ihnen vorbei, sie wischte sich mit dem Palästinensertuch über die Augen und drehte sich zu ihm um.
    »Tut mir leid, aber ich glaube, ich muss dich bitten, mir zu helfen.«
    Was er auch tat. Sie versuchte mit dem Fuß aufzutreten, vergeblich. Leise jammernd verzog sie das Gesicht vor Schmerzen.
    »Ich bringe dich ins Krankenhaus. Wir nehmen ein Taxi.«
    Er wollte Helge auffordern, sich nach einem Taxi umzuschauen, aber sie protestierte sofort. »Nein, nein, das ist nicht nötig. Schließlich ist es ja nur verstaucht. Aber ich … es wäre nett, wenn …«
    »Ja?«
    »Wenn du mir ein wenig helfen könntest.«
    »Aber selbstverständlich«, sagte Rickard. »Wo wohnst du denn?«
    »Im Glimmervägen.«
    »Glimmervägen? Ich weiß nicht genau …«
    »Eriksberg. Nein, du bist sicher Student, da weiß man nicht, wo Eriksberg liegt.«
    »Ich bin kein Student«, sagte Rickard. »Ich leiste meinen Wehrdienst ab.«
    »Ach so. Entschuldige. Aber wenn du mir den Hügel da hoch helfen könntest, dann nehme dort oben den Bus.«
    »Okay.«
    Er versuchte sie zu stützen, indem er sie am Ellbogen fasste, was aber nicht funktionierte. »Ich glaube …«
    »Ja?«
    »Es ist wohl das Beste, wenn du deinen Arm um meinen Hals legst.«
    Sie zog sich auch den zweiten Schuh aus, stopfte beide in die Jackentaschen und legte ihren linken Arm um seine Schulter. Vorsichtig hinkten sie den Bürgersteig entlang den Hügel hinauf. Sie barfuß, er in schwarzen Clogs. Nach einer Weile legte er seinen Arm um ihre Taille, und als er das tat, spürte er, wie etwas in ihm zu vibrieren begann. Er wusste nicht, was es war, aber es vibrierte.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    »Anna. Und du?«
    »Rickard.«
    »Rickard. Wo ist dein Freund hin?«
    Rickard schaute sich nach Helge um, doch der war verschwunden.
    »Ich weiß es nicht. Er ist wohl zurück zum Regiment gegangen. Waren keine Freunde von dir mit auf der Demo?«
    Sie verzog das Gesicht. »Doch. Wir waren eine ganze Gruppe.«
    Er erwartete, dass sie das weiter ausführte, was sie jedoch nicht tat. Es erschien ihm etwas merkwürdig, dass keiner der anderen Demonstranten stehen geblieben war, um ihr zu helfen. Sie hatten sie einfach fallen lassen. Obwohl doch auf einem großen Spruchband »Solidarität« gestanden hatte, weiße Buchstaben auf schwarzem Grund. Er überlegte, ob er sie danach fragen sollte, fürchtete aber, dass sie das als eine Art Provokation empfinden könnte. Und er wollte sie nicht provozieren. Im Gegenteil, er wollte dieses vibrierende warme Gefühl behalten, und er fragte sich, wie er es anstellen sollte, damit es nicht ein schmähliches Ende an der Bushaltestelle nehmen würde.
    Sie sagte nicht viel. Hielt sich an ihm fest und humpelte vor sich hin, es war offensichtlich, dass es nicht mehr so schrecklich weh tat, solange sie vermied, sich zu sehr auf dem Fuß abzustützen. Nach ein paar Minuten hatten sie die Haltestelle erreicht, sie las den Fahrplan und stellte fest, dass es noch eine Viertelstunde dauern würde, bis der nächste Bus kam.
    Sie setzten sich auf die Bank.
    »Jetzt schaffe ich es. Du brauchst mir nicht weiter zu helfen.«
    »Ich fahre mit dir.«
    »Das ist nicht nötig.«
    »Ich habe nichts anderes vor.«
    »Natürlich hast du das.«
    »Na ja, jedenfalls nichts

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