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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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der politisch aktiv war, eigentlich war es wohl so, dass sie für ihn recherchierte … oder ein ehemaliger Freund, in diesem Punkt war sie nicht ganz exakt gewesen, aber Rickard hatte es so interpretiert, dass es mit den beiden zu Ende war. Auf jeden Fall hatten sie sich wohl ziemlich heftig über-
worfen.
    »War er vorhin mit im Zug?«, hatte er gefragt, und sie hatte genickt, ohne das weiter zu kommentieren.
    Sie hatte ihm nicht erzählt, wie er hieß, und auch das hatte er als gutes Zeichen angesehen. Wenn sie wirklich einen Freund hatte, dann würde sie ihn doch wohl zumindest mit Namen benannt haben? Über alles Mögliche andere hatte sie gesprochen: ihre Eltern, ihre beiden Brüder, ihre traurige und schwere Arbeit in dem großen Krankenhaus. Aber jetzt musste sie nur noch wenige Monate dort aushalten. Im Herbst wollte sie an der Journalistenschule in Stockholm anfangen. Sie war sich zwar nicht ganz sicher, ob sie angenommen werden würde, aber offenbar standen die Chancen ganz gut.
    Rickard hatte etwas gezögert, bis er erzählte, dass er Theologie studieren wollte, er nahm an, dass die Fächerwahl in linken Kreisen nicht sehr populär war – Opium fürs Volk, wie gesagt –, aber sie nahm das auf, ohne sich über ihn lustig zu machen. Berichtete vielmehr, dass ihre Eltern beide Atheisten waren; zumindest glaubte sie das, solche Dinge wurden daheim nie diskutiert. Typische alte Sozis, wie sie behauptete, ihr Vater war gewerkschaftlich aktiv gewesen, es aber irgendwann leid geworden. Außerdem waren beide Eltern inzwischen alt, der Vater bereits pensioniert, sie hatte zwei Brüder, die zehn und zwölf Jahre älter waren als sie.
    »Ein Nachzügler«, hatte sie erklärt. »Ich glaube nicht, dass sie mich haben wollten, zumindest war ich nicht geplant.«
    »Und du selbst hast nie einen Glauben gehabt?«
    »Vielleicht als ich klein war«, hatte sie geantwortet. »Ich bin in die Sonntagsschule gegangen, obwohl mein Vater das kleinbürgerlich und albern fand. Ich war sogar beim Konfirmationsunterricht, habe den aber dann abgebrochen.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht genau. Da war etwas, das nicht stimmte. Vielleicht der Pfarrer selbst, der uns unterrichtet hat, ich habe ihn nie verstanden, und ich … ja, sollte ich vorher einen Glauben gehabt haben, dann habe ich ihn dort jedenfalls verloren.«
    »Die meisten, die sich konfirmieren lassen, haben bestimmt nie irgendeinen Glauben gehabt«, sagte Rickard.
    Und da hatte sie ihm ihre Hand für einen Moment auf den Arm gelegt. »Da hast du vollkommen Recht«, sagte sie. »Die meisten glauben an gar nichts.«
    »Woran glaubst du?«, hatte er gefragt, und sie hatte mit der Antwort gezögert.
    »Im Augenblick an nicht besonders viel«, sagte sie schließlich und klang dabei traurig. »Momentan ist es mir ziemlich egal. Mir scheint es wichtiger, Fragen stellen zu dürfen, als nach Antworten zu suchen. Tja, das klingt vielleicht etwas merkwürdig, tut mir leid.«
    »Ich finde überhaupt nicht, dass das merkwürdig klingt«, hatte er ihr versichert, und dann hatten sie eine Weile über den Vietnamkrieg und über die Lage in der Welt im Allgemeinen gesprochen.
    Über Ungerechtigkeiten, über Armut, über Sozialismus. Er stellte fest, dass sie ziemlich viel gelesen hatte; sie kannte alle möglichen Abkürzungen von Freiheitsbewegungen und Parteien, von denen er noch nie etwas gehört hatte, aber gleichzeitig schien sie nicht gerade vor politischer Überzeugung zu brennen. Irgendwie versuchte sie gar nicht, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Wahrscheinlich stimmt das, was sie gesagt hat, dachte er, es ist eher dieser namenlose ehemalige Freund, der die treibende Kraft dargestellt hat.
    Und wenn man mit einem Freund Schluss macht, erleidet vielleicht die politische Überzeugung das gleiche Schicksal? Er wusste es nicht, nahm aber an, dass es vermutlich eine zu vereinfachte Sicht auf die Dinge war. Außerdem hingen sowohl Mao als auch Che Guevara bei ihr an der Wand.
    Er kam kurz vor Mitternacht bei seinem Regiment an. Inzwischen waren er und seine Kumpels so weit in der Hierarchie aufgestiegen, dass sie ganze Nächte wegbleiben durften, wenn sie wollten. Wenn sie sich nur morgens um sieben Uhr zum Appell einfanden, dann gab es niemanden, der Krach schlug. Als er auf seine Bude kam, stieß er auf Helge, der gerade aus dem Waschraum kam, auf dem Weg ins Bett.
    »Wie ist es gelaufen?«, fragte er.
    »Es ist ganz ausgezeichnet gelaufen«, antwortete Rickard. »Wo bist du denn

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