Einsamen
Eine Rolex, schätzte Barbarotti. Ungefähr ein halbes Kilo schwer.
»Weil alles andere undenkbar ist«, sagte Winckler schließlich. »Vollkommen undenkbar.«
»Auch, dass sie sich das Leben genommen hat?«
»Warum hätte sie das tun sollen?«
Barbarotti blickte über die Stadt. »Leute nehmen sich das Leben. Jeden Tag. Und meistens kommt es überraschend für die Angehörigen.«
Tomas Winckler schwieg.
»Sie glauben also nicht, dass jemand sie gestoßen haben könnte?«
»Absolut nicht. Das ist ein unsinniger Gedanke.«
»Und dass jetzt ihr Lebensgefährte fünfunddreißig Jahre später an derselben Stelle tot aufgefunden wurde, ändert das etwas an Ihrer Meinung?«
Tomas Winckler trank einen Schluck Weißwein.
»Nein, er wollte da sterben, wo sie gestorben ist. Fragen Sie mich nicht, warum.«
»Als er Sie damals zusammen mit dieser dänischen Frau besucht hat, haben Sie da irgendwelche Anzeichen einer Depression an ihm wahrgenommen?«
»Nein. Darüber haben wir auch gesprochen, meine Frau und ich. Er war etwas schwierig, aber das ist er ja schon immer gewesen. Düster und schwierig.«
»Düster und schwierig?«
»Ja, ungefähr so.«
Barbarotti seufzte innerlich und wechselte das Thema.
»Diese Clique, ich habe ein wenig darüber nachgedacht. Sie sechs haben sich also häufiger getroffen, kannten einander in- und auswendig … und nachdem das mit Maria passiert ist, ist die Clique zerbrochen. War es so?«
»Mehr oder weniger. Aber ich möchte nicht behaupten, dass wir einander in- und auswendig kannten. Einige von uns vielleicht. Rickard und ich … anfangs.«
»Anfangs?«
»Ja.«
»Aber in Uppsala waren Sie eine verschworene Einheit?«
»Ein paar Jahre lang, ja.«
»Und alle haben so ungefähr gleichzeitig Uppsala verlassen, nicht wahr?«
Winckler lehnte sich zurück und dachte nach. »Im Großen und Ganzen, ja. Aber das ist doch normal, man studiert einige Jahre lang und zieht dann weiter. Meine Frau und ich, wir sind im August 1974 nach Göteborg gezogen, und ich glaube, Rickard hat seine Pfarrstelle im Frühling 1975 angetreten … und Maria und Germund sind wie gesagt im Herbst desselben Jahres nach Kymlinge gezogen. Sie hatten dort beide eine Lehrerstelle gekriegt, ja, das war nur wenige Monate, bevor es passiert ist.«
»Sie sind in der Reisebürobranche, nicht wahr?«
Winckler nickte.
»Ich habe Informationen, die besagen, dass Sie bereits 1972 ein Reiseunternehmen gegründet haben. Das 1974 in Konkurs ging. Qualitätsreisen GmbH. Stimmt das?«
Winckler musste lachen. »Ja, natürlich. Es war zunächst nur so eine Studentensache. Wir wollten ein bisschen durch Osteuropa fahren, das war zu der Zeit sehr populär. Und boten noch einige Billigfahrten durch Schweden an … aber es stimmt, nach ein paar Jahren waren wir bankrott.«
»Haben Sie viel Geld verloren?«
»Einiges. Aber nicht besonders viel.«
»Aber Sie haben dann in der Branche weitergemacht?«
»Ich habe ein paar Jahre in einer Bank gearbeitet. Dann haben wir die Tomas-Winckler-Reisen gegründet. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt.«
Er lächelte ein wohlverdientes Erfolgslächeln. Bescheiden, doch nicht ohne Stolz. Gunnar Barbarotti trank einen Schluck Wasser und schaute hinüber zur Bar, an der zwei langbeinige Damen gerade ihre roten Drinks mit Strohhalm bekamen. Ich mag keine Erfolgsmenschen, dachte er. Das ist die bittere Wahrheit.
»Sie haben gesagt, Germund Grooth sei ein Eigenbrötler. Können Sie das näher ausführen?«
Winckler schaute auf seine Rolex und schien zu beschließen, dass es noch Zeit für die Fortsetzung des Gesprächs gab.
»Er war immer irgendwie anders«, sagte er. »Gunilla und ich haben das damals schon so empfunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass er im Laufe der Zeit ein richtiger Sonderling geworden ist. Was andere Menschen betraf, so fiel es ihm schwer, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Natürlich war er unglaublich begabt, er hätte es in der Wissenschaft weit bringen können, aber vielleicht fehlte auch etwas … ich weiß es nicht. Aber er war interessant, das will ich nicht leugnen. Und er passte irgendwie zu Maria … sie war auch ein ungewöhnlicher Mensch.«
»Ungewöhnlich?«, fragte Barbarotti nach.
»Es ist schwer, sie zu beschreiben. Sie war ja meine Schwester, wir standen uns sehr nahe … ja, sie war etwas Besonderes, daran gibt es keinen Zweifel.«
Etwas Besonderes?, dachte Barbarotti irritiert. Kannst du keine besseren Worte finden, um deine tote Schwester
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