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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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stärker, da er die Unwahrheit gesagt hatte. Gleichzeitig wusste er, dass sie eigentlich genauso zufrieden war wie er selbst, dass sie so distanziert miteinander umgingen, und er nahm an, dass sie auch ein entsprechendes schlechtes Gewissen plagte.
    Meine Mutter und ich, dachte er. Fremde gleichen Blutes.
    Aber Anna zauberte eine Flasche Parado zu den Spaghetti mit Hackfleischsoße hervor, und es war zu spüren, dass sie beide eine neue Form von Erregung verspürten. Als sie sich später am Abend liebten, war er sicher, dass sie einen Orgasmus hatte, er brauchte gar nicht zu fragen.

30
    G unnar Barbarotti traf Tomas Winckler im Hotel Gothia in Göteborg, nur drei Stunden, nachdem er mit Rickard Berglund in Kymlinge gesprochen hatte. Winckler war geschäftlich in der Stadt und wohnte im Gothia, sie saßen im Restaurant in der dreiundzwanzigsten Etage, jeder mit einem viereckigen Teller mit Meeresfrüchten vor sich, und blickten in die Dämmerung hinaus, die Barbarotti an Schmeißfliegenflügel erinnerte. Und zwar wegen der Farbe, so merkwürdig dumpf schimmernd, er nahm an, dass es etwas mit Luftverschmutzung und verdreckten Straßenlaternen zu tun hatte.
    Tomas Winckler sah weder schmutzig noch verdreckt aus. Ganz im Gegenteil, frisch geduscht und wie geleckt. Er hatte eine Stunde zugesagt, anschließend wartete ein Geschäftsessen auf ihn. Wenn es nötig sein sollte, würde er mit Inspektor Barbarotti gerne nächste Woche noch einmal sprechen. Natürlich. Die Geschichte mit Germund Grooth war wirklich merkwürdig. Seine Frau und er hatten stundenlang darüber disku-
tiert.
    »Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«, fragte Barbarotti und spießte eine Krabbe mit der Gabel auf.
    »Ja, was soll man davon halten?«, entgegnete Winckler. Zuckte mit den Schultern und tat so, als würde er nachdenken. »Germund war immer ein Eigenbrötler, aber dass er einmal so enden würde, das konnte keiner ahnen.«
    »Nicht?«, hakte Barbarotti nach. »Und das ist alles, worauf Sie gekommen sind? Sie und Ihre Frau?«
    Eine plötzliche Woge von Antipathie überkam ihn, da war etwas an Wincklers gebügeltem Anzug und seinem sonnengebräunten Teint, das ihn irritierte. Diese sanfte Selbstsicherheit und professionelle Freundlichkeit. Warum wohnte er im Hotel Gothia, wenn sein Haus nur fünfzehn, zwanzig Kilometer entfernt lag? Ein Zimmer an so einem Ort kostet sicher mehr als ein Taxi, dachte Barbarotti, während er darauf wartete, dass sein Tischnachbar ein Stück Hummer hinunterschluckte, um antworten zu können. Viel mehr.
    »Doch, tatsächlich«, sagte Winckler. »Wir hatten im Laufe der Jahre nicht viel Kontakt mit ihm. Wie Sie wissen, war er vor ein paar Monaten zusammen mit einer Dame bei uns zu Besuch, einer Dänin, ich habe leider ihren Namen vergessen … aber das war wirklich eine einmalige Angelegenheit. Wir trafen uns während unserer Uppsalazeit, weil er mit meiner Schwester zusammen war. Als sie starb, brach der Kontakt ab. Zumindest im Großen und Ganzen, deshalb haben wir absolut keine Ahnung, warum er sich entschlossen hat, seinem Leben in der Gänseschlucht ein Ende zu setzen.«
    »Sie meinen also, er hat sich dazu entschieden?«
    »Gibt es irgendwelche anderen Erklärungen, die denkbar wären?«
    Barbarotti war sich nicht sicher, ob in Wincklers Stimme ein Hauch von Verwunderung lag. Vielleicht war dem ja so, aber seine Irritation überwog.
    »Es gibt so einige merkwürdige Umstände.«
    »Umstände?«, fragte Winckler nach, »was für Umstände?«
    »Darauf kann ich jetzt nicht eingehen. Aber vor fünfunddreißig Jahren war es ja ganz ähnlich. Als Ihre Schwester starb … da waren die genauen Umstände auch nicht ganz klar,
oder?«
    Tomas Winckler zeigte einen neuen, schärferen Gesichtsausdruck.
    »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    Barbarotti spießte eine weitere Krabbe auf. »Ich will auf die Wahrheit hinaus«, sagte er und versuchte bescheiden zu klingen. »Nichts anderes. Ich finde, beide Todesfälle sind außerordentlich merkwürdig. So habe ich beispielsweise das Protokoll jenes Gesprächs gelesen, das Sandlin 1975 mit Ihnen geführt hat. Sie sagten damals, Sie seien überzeugt davon, dass Maria sich nicht das Leben genommen hat … genauso überzeugt waren Sie davon, dass niemand sie gestoßen hat. Wie kommt es, dass Sie sich dieser beiden Dinge so sicher waren?«
    Winckler saß still da und betrachtete ihn ein paar lange Sekunden lang. Er ließ seine Armbanduhr einmal um das Handgelenk kreisen.

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