Einsamen
Möglichkeit«, sagte Barbarotti. »Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass ich hier sitze und in einem Selbstmord ermittle?«
Tomas Winckler antwortete nicht.
»Darf ich das so interpretieren, dass Sie am Samstag den ganzen Nachmittag allein zu Hause waren?«
Wincklers Kiefer mahlten eine Weile, aber es kam kein Kommentar. Barbarotti wartete geduldig, aber nach einer halben Minute stand sein Gegenüber auf, knöpfte sich die Jacke zu und verließ das Restaurant entschlossenen Schrittes.
Interessant, dachte Gunnar Barbarotti. Obwohl es eine Frechheit ist, mich mit der Rechnung sitzen zu lassen.
Da er nun sowieso sechshundertsechzig Kronen bezahlen musste, blieb er sitzen und aß den gesamten Teller mit Meeresfrüchten bis zum letzten Stück auf. Rief in der Zwischenzeit Marianne an und erklärte ihr, dass er sie liebe, dass er ein halber Idiot sei, aber seine andere Hälfte sie liebe – und dass er um halb acht zu Hause sein würde und gern ein fantastisches Essen für die ganze Bande kochen würde, da es endlich Freitagabend war. Wenn sie nur die Zutaten kaufen und die Bande so lange warten könnte.
Sie antwortete, dass sie ihrerseits ihn sicher mit mindestens sechzig Prozent ihrer gesunden hundert liebe und dass sie die Essensfrage mit Schwedens Jugend, seiner Zukunft, verhandeln wolle.
Als er kurze Zeit später durch die Hotellobby ging, konnte er gerade noch sehen, wie Tomas Winckler eine pelzgekleidete Dame durch die Eingangstür führte, und ihm wurde klar, dass die Frage, warum man nach einem Geschäftsessen nicht ein Taxi nach Hause nahm, offenbar eine viel einfachere Erklärung hatte, als er sich gedacht hatte.
Schau einer an, dachte Inspektor Barbarotti. Wusste ich doch, dass in diesem Armani tief drinnen ein Stinkstiefel steckt.
Aber vielleicht ist ja gerade der Armani selbst ein Markenzeichen für alle Stinkstiefel dieser Welt?, dachte er weiter – ihr Signum sozusagen –, doch an diesem Punkt war es offensichtlich an der Zeit, einen großen Schritt zurück aus den gelobten Gemarken der Vorurteile zu machen.
Auf dem Heimweg nach Kymlinge stellte er fest, dass er nicht nach Rickard Berglunds Alibi für den betreffenden Zeitraum gefragt hatte. Tomas Winckler hatte offensichtlich vormittags Golf gespielt, hinterher war es unklar. Der Zeitpunkt von Germund Grooths Tod hatte nicht exakt festgestellt werden können; zwischen 12 und 16 Uhr am Samstag, dem 25. September, enger konnte man ihn laut Obduzent Ritzén nicht eingrenzen. Heute war Freitag, der 1. Oktober. Barbarotti stellte fest, dass fast eine Woche vergangen war, sie hatten an dem Fall fünf Tage gearbeitet, und wenn man ehrlich sein wollte, dann war nicht besonders viel zu Tage getreten, was darauf hindeutete, dass jemand dem Dozenten aus Lund da draußen in den Wäldern über den Steilhang geholfen hatte.
Einige Fragezeichen und ein paar Ungereimtheiten waren wohl an die Oberfläche gekommen, aber dem war fast immer so, wenn man anfing, Leuten Fragen zu stellen. Dass man auf irgendwelche Widersprüche stieß, so manche übertriebene Reaktion oder jemanden, der eine unbekannte Frau durch ein Hotelfoyer führte, was aber noch lange nicht bedeutete, dass man einem Täter auf der Spur war. Absolut nicht.
Der Begriff Täter setzte außerdem voraus, dass ein Verbrechen begangen worden war, und wenn man all diese unbedeutenden Ungereimtheiten beiseite schob, dann gab es eigentlich nichts, was in diese Richtung wies.
Wenn man ehrlich war, wie gesagt.
Auf jeden Fall war es Freitagabend geworden. Er beschloss, dass ab jetzt Wochenendfrieden herrschte und er Germund Grooth oder der Gänseschlucht oder dem früheren Treiben seiner jetzigen Ehefrau keinen weiteren Gedanken mehr schenken wollte, bis allerfrühestens Montagmorgen.
Aber irgendetwas war an dieser verfluchten Gruppe dran, das musste er einräumen, und das war die erste Frage, die er näher betrachten wollte, wenn er wieder hinter seinem Schreibtisch im Polizeigebäude von Kymlinge saß.
Die Alibis der anderen natürlich auch. Er hoffte, dass Eva Backman und die Assistenten sich darum gekümmert hatten, wie es an dieser Front aussah. Und dass Backman zumindest irgendetwas auf ihrer Reise nach Skåne herausbekommen hatte, das durfte man ja wohl voraussetzen?
Aber erst einmal Wochenendfrieden also. Lucilio de Carmo und fünfzig Minuten Fado für den Anfang. Fließende Trauer auf Portugiesisch.
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M aria, der Spatz.
Juli 1972. Habe sechs Wochen beim Profeten gejobbt, heute Abend
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