Einsamen
war der letzte Abend, und das war auch höchste Zeit. Ich ertrage diese pubertierenden Alphamännchen nicht länger, die es sich aus irgendeinem Grund leisten können, Abend für Abend dort herumzuhocken, Bier zu saufen, ihre Stimmen immer lauter dröhnen zu lassen, während ihr Blick langsam verschwommen wird. Die meisten sind keine Studenten, die Studenten sind nach Hause nach Bollnås, Piteå oder Katrineholm gefahren. Die Stadt ist ausgestorben wie nach einem Atomkrieg, und die armen Schlucker, denen es nicht gelungen ist, während des radioaktiven Niederschlags zu fliehen, die treffen sich im Profeten. Da steht der Spatz hinter dem Tresen und zapft schäumendes Bier für sie, damit ihre wenigen, noch vorhandenen Gehirnzellen langsam, aber sicher ins Koma fallen, in Erwartung des letztendlichen Zusammenbruchs. Verdammte Scheiße, wie ich sie verabscheue. Ich weiß, dass sie mir stattdessen eigentlich leidtun müssten, aber das tun sie nicht.
Germund hatte in einem Laden in der Oberen Schlossgasse gejobbt, hatte dort Fahrräder repariert und lackiert, die Drahtesel waren wahrscheinlich geklaut oder zumindest aus dem Fyris gefischt, aber was soll’s. Man muss nehmen, was einem geboten wird, außerdem hat er ja noch sein Stipendium plus einiges an Geld von seinen verunglückten Eltern, wir können also nicht klagen. Wir kommen zurecht. Ich klage auch gar nicht, bin nur ein wenig müde, dort, wo einmal meine
Seele war.
Und morgen geht es los. Das wird total schön. Anfangs, als mein Goldjunge von Bruder seine Idee mit der Busfirma vortrug, da habe ich gedacht, es wäre das Idiotischste, was ich je gehört habe, selbst von ihm, aber ich muss sagen, inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Es gibt drei Teilhaber der Firma: Tomas und Gunilla halten einundfünfzig Prozent – Germund und ich, genauso wie Rickard und Anna, jeweils vierundzwanzigeinhalb. Er möchte natürlich die Kontrolle behalten, der liebe Tomas, aber das ist mir auch egal. Sie haben sechsundzwanzigtausend eingezahlt, wir und die Berglunds – sie haben tatsächlich vor zwei Wochen geheiratet und tragen jetzt denselben Familiennamen – jeweils zwölfeinhalb.
Also kann man sagen, dass Germund und ich ein Viertel Bus besitzen. Der hat achtunddreißigtausend gekostet. Tomas hat für diverse Reparaturen zweitausend ausgelegt, und elftausend haben wir noch als Kapital. Dass ich all diese Zahlen so genau weiß, liegt daran, dass wir gestern in der Sibyllegatan ein Firmentreffen hatten und Tomas alle grundlegenden Fakten auf Punkt und Komma durchgegangen ist. Qualitätsreisen heißt die Firma, der Bus ist gelb und grün, Tomas hat jede Menge Sitze herausgeschraubt und Trenngardinen und so angebracht, so dass wir sozusagen jeweils einen Bereich haben, wenn wir durch Europa tuckern. Aber wenn wir später dann richtig Leute kutschieren, dann werden die Sitze natürlich wieder angeschraubt. Die liegen jetzt in einem Schuppen draußen in Lurbo, er hat überall so seine Kontakte, mein Bruderherz.
Es ist geplant, dass wir fünf Wochen unterwegs sind. Am Wochenende vor Semesterbeginn wollen wir wieder zurück sein, ja, es ist lange her, dass ich mich auf etwas so gefreut habe wie auf diese Reise. Auch wenn mir klar ist, dass das in erster Linie am Profeten und den Bieridioten liegt. Endlich einmal wegzukommen!
Endlich für eine Weile aus Uppsala raus zu kommen. Germund ist eigentlich genauso begeistert wie ich, auch wenn er es nicht so zeigen kann. Aber ich kann es ihm ansehen. Er hat alles an Physik gelernt, was zu lernen möglich war, sein Professor will, dass er promoviert, aber Germund meint, er möchte vorher noch mehr Mathe machen. Mathe und theoretische Physik, damit will er sich im Herbst beschäftigen. Ich selbst werde mit Literaturwissenschaft weitermachen, dem C-Kurs. Das halbe Semester lang muss ich einen Aufsatz schreiben, ich neige zu Céline, obwohl die es lieber haben, wenn man etwas Schwedisches nimmt. Dann wäre es Dagerman, aber ich muss mich ja erst im Herbst entscheiden.
Es klappt gut, mit Germund zusammenzuwohnen, so langsam glaube ich, dass es etwas mit unseren Narben zu tun hat. Wir sind beide beschädigt, er natürlich schlimmer als ich, er hat seine Familie verloren, ich bin nur auf den Kopf gefallen und dadurch in meiner Persönlichkeit verändert. Das ist schon ein gewisser Unterschied, aber es ist die grundlegende Ähnlichkeit, auf der wir aufbauen. Manchmal, wenn wir einander über den Frühstückstisch anschauen, ist es, als
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