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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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brutal und eklig.
    »War dein Papa im Krieg?« wollte sie wissen.
    »Ja, der kam noch annie Front, mit achtzehn, das war 1944, irgendwo
im Osten.«
    »Won im Osten?«
    »Rußlandfeldzug. Da hat ern Streifschuß abbekommen und wurde
ausgeflogen, mit einer der letzten Maschinen. Sonst würde ich heut nich neben
dir sitzen.«
    »War er auch mal in Warschau?«
    »Nö. Glaub nich.«
    »Gut. Ist schon seltsam.«
    »Wasn?«
    »Das alles scheint so lange her. Und jetzt sitz ich neben wem,
dessen Papa für die Nazis rumgeballert hat. Weißt du, mein Opa ist gefallen, in
Iwo-Jima.«
    »Dann waren das die Japsen!«
    »Wenn du dir mal den Bart abrasieren würdest …«
    »Ja?«
    »Der Bart steht dir gar nich. Bin ich etwa die erste, die dir das
sagt?«
    »Bist du denn rasiert?«
    »Na hör mal. Ekki! Jetzt gehste mal besser heim.«
    »Tut mir leid.«
    »Nee, ist sowieso spät.«
    Erst als Ekki draußen auf der Straße stand, begriff er die
Tragweite dessen, was Minnie mit ihrer Frage gemeint hatte, ob er sich nicht
mal den Bart abrasieren wolle. Ja, es stimmte, der angegraute Bart wirkte nicht
besonders attraktiv, war der Faulheit geschuldet. Und ohne ihn würde Minnie
irgendwas in Betracht ziehen, ganz klar. Doch wollte er das auch? Es war auf
gewisse Weise frustrierend, einzusehen, daß er um fast alles froh sein mußte,
was dieses Leben ihm noch bot. Es gab dabei Kerle, die fanden Minnies Pfunde
begehrenswert, die machten ihr Avancen. Wie gerne wäre er einer jener Männer
gewesen.
    Sarah fühlte sich schuldig. Sie hatte ein Geheimnis, von
dem Thomas nichts wußte.
    Es war ein banales Geheimnis, aber man mochte Thomas beurteilen, wie
immer man wollte, er – hatte nie ein Geheimnis vor ihr gehabt. Hatte ihr
pflichtschuldigst mitgeteilt, mit wem er schlief, hatte, wenigstens auf
Nachfrage, stets alles, was es zu sagen gab, berichtet. War geradezu froh darum
gewesen, mit seiner Gattin alle Informationen zu teilen, die aus seinem
unkonventionellen Lebenswandel resultierten.
    Weswegen, um Himmels willen, enthielt Sarah ihm vor, daß sie sich
regelmäßig in einer Treptower Sporthalle abschießen ließ, oder selbst schoß,
auf lebende Menschen. Eigentlich war nichts dabei. Sie sollte es ihm sagen. Sie
konnte ja behaupten, es eben erst ausprobiert zu haben. Es war albern, ein
Geheimnis zu haben, nur um ein Geheimnis zu haben. Bei Gelegenheit. Bei
Gelegenheit würde sie ihm davon erzählen. In einem passenden Moment.
    Johnny fühlte sich ebenfalls schuldig. Swentja hätte auf
ihre Schwester aufpassen sollen, und er hatte sie abgelenkt. Jetzt war die
Schwester verschwunden, Swentja war verschwunden, ging nicht ans Telefon, und
alles war Scheiße. Wie würde Swentja ihn je lieben können, wenn er, zumindest
indirekt, daran schuld war, daß ihre kleine Schwester vielleicht nie
wiederkommen würde. Er mochte sich das gar nicht ausmalen. Eine Teilschuld trug
natürlich auch dieser Araber. Was wollte der bloß von Swentja? Und was wollte
die von ihm? Und warum hatte sich der Typ auf ihn gestürzt? So viele Fragen
blieben offen.
    Johnnys Eltern fragten ihn, woher er das blaue Auge bezogen, wo er
sich am Sonntagnachmittag rumgetrieben, weshalb er die Bibelstunde versäumt
habe. Johnny wich allen Fragen aus, einfach, indem er schwieg. Noch vor einem
Jahr hätte sein Vater ihn deswegen gezüchtigt. Es war gut zu erfahren, daß ein
solches Szenario nun anscheinend nicht mehr drohte. Es machte Johnny sicherer.
Er hatte das notwendige Alter erreicht, hatte sich das Recht zu schweigen
erkämpft.
    Mahmud fühlte sich überhaupt nicht schuldig. Eher
verunsichert, weil es in Swentjas Leben jemanden gab, den er dort nicht
vermutet hatte. Vom Schicksal der kleinen Sonja bekam Mahmud wenig mit, er war,
nachdem dieser Schweinefresser fortrannte und Swentja hysterisch wurde, einfach
nach Hause gegangen. Stress konnte er nicht brauchen. Die Göre war sicher schon
längst wieder aufgetaucht. Swentja würde er morgen klarmachen. Was ihm an ihr
lag, wußte er selbst nicht so genau. Sie sah bestenfalls durchschnittlich aus
und zickte rum.
    Janine griff sich in jener Nacht den Vibrator, der,
abgesehen von einigen Fotos, das einzige Erbe ihres letzten Freundes, des
bisexuellen Bildhauers aus Darmstadt, war. Er hatte ihn ihr vor Jahren
geschenkt, mit den Worten, sie müsse auch ohne ihn fähig werden, zu entspannen.
    Allein, der Vibrator war ein ungenügender Ersatz für Uwe. Janine war
alt genug, um zu wissen, daß sie in Uwe nicht etwa verliebt war. Sie

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