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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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blöd zu sein. Sie konnte ihr Tun vor sich selbst vertreten,
vergab sich nichts. Nur der Verdacht, Uwe könne sie über die Kaufhauskameras
observieren und sich vor etwaigen Kollegen über sie lustig machen, trieb Janine
dazu, aufzugeben. Sie hatte an diesem Nachmittag zwei Schülerinnen wegen
angeblicher Krankheit abgesagt und ärgerte sich über diesen komplett
fahrlässigen Ausfall an Einkommen. Janine zuckte, erlitt einen Spasmus, stützte
sich an einer Litfaßsäule ab, bis ihre Nerven wieder Ruhe gaben. Während sie so
auf dem Hermannplatz stand und noch ein paar Minuten lang ziellos und
frustriert zwischen den Verkaufsständen der Marketender herumlief, sah sie, wie
ein relativ großer Mann das Karstadt-Gebäude durch den Personaleingang verließ.
Sie griff nach ihrer Brille. Es war Uwe. Er überquerte die Kreuzung, lief mit
schnellen Schritten in ihre Richtung, bog dann ab, hinunter in die
U-Bahn-Station. Janine rannte hinterher, um sich ihm in den Weg zu stellen,
vielmehr zu werfen – dann entschied sie sich um und verfolgte ihn bloß. Er
betrat eine Bahn der Linie acht, nach Norden. Janine sprang, gerade noch
rechtzeitig, bevor die Türen schlossen, ins Nachbarabteil. Durch die
Zwischenscheibe konnte sie ihn beobachten. Uwe las in einem kleinen roten
Notizbuch. Janine wußte plötzlich nicht mehr, was genau sie ihm hatte sagen
wollen. Beziehungsweise, sie wußte es noch ganz gut, aber es klang nicht mehr
souverän, geschweige denn überzeugend. Eher larmoyant, anbiedernd und peinlich.
Sie war nun heilfroh, daß es im Karstadt zu keiner Begegnung gekommen war. Uwe
zu observieren machte mehr Spaß. Sie würde so vielleicht herausfinden, wo er
wohnte. Wenngleich sie noch nicht wußte, wofür das genau gut sein sollte. Egal.
    Uwe stieg, nach acht Stationen, an der Weinmeisterstraße aus und
hetzte die Treppe hinauf. Janine hatte Mühe, ihm zu folgen. Er lief die Alte
Schönhauser Allee entlang. Und plötzlich, auf der rechten Straßenseite, vor dem
sehr beliebten vietnamesischen Lokal, dem Monsieur Vuong , traf er
eine Frau, umarmte sie, küßte sie auf beide Wangen. Janine mußte eingestehen,
daß die Frau attraktiv war, groß und schlank, Ende dreißig vielleicht, eine
Wuschelhaarblondine mit kleinen Perlen am Hals, in Jeans und hohen braunen
Stiefeln. Die perlmuttfarbene, ponchoähnliche Bluse (Jil Sander?) nahm der
perfekten Silhouette ihrer Figur nichts weg.
    Uwe redete auf die Frau ein, als müsse er sich für eine Verspätung
entschuldigen. Beide betraten das Lokal, das zu dieser Tageszeit brechend voll
war, standen eine Weile im Eingangsbereich herum, bis ihnen zwei freie Plätze
an der breiten Theke zugewiesen wurden.
    Janine stellte sich vor den Vorhang, zwischen zwei Raucher, und
lugte durch den Schlitz. Uwe hatte seinen Arm locker um die Hüfte der Frau
gelegt, was diese sich gefallen ließ. Das Monsieur Vuong war ein bei Touristen
und Berlinern gleichermaßen beliebter Treffpunkt, um gut zu essen, ohne viel
Geld ausgeben zu müssen. Janine bekam große Lust, Uwe eine Szene zu machen, bis
sie, im letzten Moment, davor zurückschreckte. Welches Recht hatte sie denn auf
diesen Menschen? Er hatte ihr eine Nacht sehr angenehm gestaltet, war offenbar
an keiner Fortsetzung interessiert. Und sie, die ihm für diese eine Nacht von
Herzen hätte dankbar sein müssen, überlegte nun, wie sie ihn in eine möglichst
kompromittierende Situation bringen konnte. Es graute ihr vor sich selbst.
    Der lichte Moment ging, wie er kam. Je länger sie darüber
nachdachte, um so mehr gefühltes Recht sammelte sich in ihr, jetzt hier sein
und Uwe beobachten zu dürfen.
    »He, du! Bleib mal stehen!«
    »Was?«
    »Gehst du mit Swentja Pfennig in eine Klasse?«
    »Tu ich. Warum?«
    »Ich such sie. Muß ihr was sagen. War sie heut in der Schule?«
    »Nö.«
    »Mit wem hängt sie denn so ab? Hilf mir doch mal.«
    »Ich kenn dich doch gar nicht.«
    »Hilf mir einfach. Sonst lernste mich kennen. Das ist nicht für
jeden schön.«
    Genau in diesem Moment tippte ein Angestellter des Lokals
Janine auf die Schulter und zeigte auf einen eben frei gewordenen Platz an der
Theke. Wie in Trance, ohne nachzudenken, folgte Janine dem Vorschlag und setzte
sich rechts neben Uwe, der währenddessen eifrig mit der Dame zur Linken
parlierte und seine neue Nachbarin nicht wahrnahm. Ein Kellner nahm Janines
Bestellung auf. Sie wollte den Apfel-Minz-Shake und einen kleinen
Glasnudelsalat.
    In diesem Moment warf Uwe einen Seitenblick nach rechts,

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