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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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und Katzbachstraße, dem Nachtmar .
Er machte einen nachdenklichen Eindruck, zupfte an seinem Bart, hatte in den
drei Stunden, die er hier saß, wenig getrunken und es dennoch geschafft, der
letzte Gast zu sein. Sonntags war das zugegeben einfacher zu erreichen als
sonst. Minnie, vor gut drei Jahrzehnten als junge Braut eines GI eingewandert, geschieden, beugte sich zu ihrem
Stammgast herab. Sie flüsterte ihm ins Ohr, daß sie das Lokal für heute
abschließen wolle, er könne aber gerne noch eine Flasche Bier mit nach Hause
nehmen, die spendiere sie ihm, gegebenenfalls. Minnie sah in Ekki inzwischen so
etwas wie ihren besten Kumpel, er war immer höflich und freundlich, grabschte
nie und gab Trinkgeld. Manchmal war er besonders süß und brachte eine Tüte
ihrer geliebten Royal-Cauldron-Chips mit. Beide ungefähr im selben Alter,
hätten sie zusammen ein Jahrhundert eher mäßiger Erfahrungen in die Waagschale
werfen können. Weshalb sie betont vorsichtig miteinander umgingen, immer darum
bemüht, nicht zu zerstören, was sie aneinander besaßen. Seit fast einem halben
Jahr, als sie an Heiligabend miteinander ins Gespräch gekommen waren, erzählte
Ekki, regelmäßig um Mitternacht herum, von den alten Römern und deren Kaisern.
Poetische und deftige, oft auch frivole Geschichten. Minnie hätte nie gedacht,
daß sie für derlei Antikkram Interesse aufbringen könnte. Aber Ekki verfügte
über eine gewisse Gabe, trockenen Stoff süffig wiederzugeben. Manchmal klagte
er darüber, keine Schüler mehr zu haben, das Gymnasium fehlte ihm, und er
verfluchte sich dann, weil er sein Leben ruiniert glaubte. Minnie wußte über
römische Kaiser inzwischen mehr als mancher Akademiker mit großem Latinum.
    »Komm, Ekki, erzähl mir noch was, der letzte Kaiser war Macrinus,
wer kam danach?«
    Ekkehard nippte an seiner Flasche Schultheiss, eine Marke, die er
nur trank, weil sie billiger war als das tschechische Importpilsener.
    »Macrinus hatte einen Sohn mit Namen Diadumenianus.«
    Er war von den drei Bier, die er gehabt hatte, bereits leicht
betrunken. Alles eine Frage der Suggestion. Man kann von sehr wenig betrunken
werden, wenn man wenig Geld hat, es aber nötig hat, betrunken zu sein vor dem
Schlaf. Jetzt nahm er sich zusammen, um nichts durcheinanderzubringen.
    »Was? Wie hieß der?«
    »Diadumenianus!«
    »Herrgott, Ekki, das ist ein ganzer Satz, kein Name! Dia du meni
anus! Wer soll sich das merken?«
    »Die wurden beide ermordet, Macrinus und Diadumenianus, der Papa wie
der Sohn. Letzterer wird von den Geschichtsschreibern als einnehmend und
sympathisch geschildert. Ein nettes, begabtes, vielversprechendes Kind.«
    »Wie furchtbar!«
    »Nach Macrinus kam Elagabal, auch Heliogabalus genannt. Eigentlich
hieß er zu Lebzeiten Marcus Aurelius Antoninus, genau wie zuvor schon
Caracalla. Den, wie du dich vielleicht erinnerst, Macrinus hat ermorden
lassen.«
    »Wie? Caracalla hieß in echt gar nicht Caracalla?«
    »Nein, das war ein später Spitzname, und Elagabal war genaugenommen
der Name einer syrischen Gottheit, die von Marcus Aurelius Antoninus verehrt
wurde. Da gab ihm die Geschichtsschreibung einfach diesen Namen. Das warn echt
abgefahrener Typ.«
    »Erzähl!« forderte Minnie, und ihr warmer fetter Körper schmiegte
sich an den letzten verbliebenen Gast. Daß Macrinus und sein Sohn Diadumenianus
ermordet worden waren, nach nur kurzer Regentschaft, belastete Minnie. Die
Geschichte der römischen Kaiser war ein depressiver Trip. Man konnte draus
ableiten, daß die menschliche Existenz, fragiler als ein Schmetterlingsflügel,
zum Scheitern geradezu verdammt war, wo immer sie es gewagt hatte, ein bißchen
zu weit über den Tellerrand zu gucken.
    »Elagabal, das sechzehnjährige Monster, kam durch einen Trick auf
den Thron, weißdu, seine Ma, die Julia Soaemias, mit der Dynastie der Severer
weitläufig verwandt, das muß man auch mal so sehn, das Risiko, einfach die
Truppen mit ner Alternative vertraut zu machen, weißdu, Minnie, das is die
Lehre, diech draus zieh. Zur Macht gehts nur unter Einsatz des eigenen Lebens,
im richtigen Moment muß man mutig sein und ist dann Herrscher der Welt, wird
aber auch, im Fall des Scheiterns, sofort ermordet, erstochen, geköpft,
erhängt, das is der Einsatz im großen Spiel, vorab zu zahlen. Auf dem Weg zur
Macht. Da bin ich froh, meine Liebe, daß mir das erspart geblieben is.«
    »Kannste von Glück sagen, Ekki.«
    »Nich? Oder lüg ich mir was vor? Elagabal ließ auf die Gäste

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