Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
Angestellte waren und jemanden der kurz
vor der Rente stand, brauchte ich auch nicht. So dringend hatte ich es auch nicht
nötig. Sie nahm mich am Arm und führte mich durch die Wohnung bis ins
Wohnzimmer. Dort machte sie vor einem großen, blonden Mann halt, dem man ohne
Zögern einen zweiten oder vielleicht auch dritten Blick schenken konnte.
„Sven,
das ist Laura, Patricks Schwester. Ich habe leider gerade alle Hände voll zu
tun, und du weißt ja, wo die Getränke sind. Wäre es eine allzu große Last für
dich, wenn du ihr was zu trinken besorgst? Nein? Ich wusste, dass du ein Schatz
bist“, und schon war sie wieder verschwunden. Offensichtlicher ging es wohl
nicht, dachte ich, und schenkte ihm ein verlegenes Lächeln, während mein
Gesicht die Farbe der bordeauxfarbenen Tapete annahm. Wenn mein Lächeln nicht
gewesen wäre, wäre ich bestimmt mit dem Hintergrund verschmolzen und hätte als
Double der Grinsekatze auftreten können, für den Fall, dass mal wieder eine
Neuverfilmung von Alice im Wunderland anstand. Doch Sven war so nett und ging
nicht näher darauf ein, sondern erwiderte mein Lächeln und ließ dadurch seine
grünen Augen gleich heller erscheinen.
„Also
Laura, was kann ich dir bringen?“
„Ein
Glas Rotwein wäre nett.“
„Ich
bin sofort wieder bei dir!“ Er drehte sich kurz zu dem Tisch um, vor dem wir
standen, griff nach einem Weinglas und schenkte mir aus einer der
danebenstehenden Flaschen ein und reichte mir das Glas:
„Voilà!“
Er nahm sich ebenfalls ein Glas und gemeinsam stießen wir an.
„Du
bist also Laura, Patricks sagenhafte Schwester“, fing er an.
„Wieso
sagenhaft?“
„Anne
spricht häufiger von dir und wie viel Spaß sie mit dir zusammen hat. Welche
wunderbaren Gerichte du zauberst und noch hinzu, richtig hübsch bist. Beim
Letzteren hat sie ganz klar nicht übertrieben.“ Wenn es überhaupt möglich war,
wurde mein Gesicht noch eine Spur röter. Warum konnte ich nicht einfach nur
cool sein und nonchalant dazu lächeln?
„Ich
höre leider heute Abend zum ersten Mal von dir. Seit wann bist du bei der Firma
und was machst du dort?“ Ich beschloss, dass ich gar nicht näher auf das
vorherige Gesagte eingehen wollte, da es im schlimmsten Fall nur noch
peinlicher für mich werden konnte. Wenn es um Männer ging, kam ich mir immer
unbeholfen und linkisch vor. Leider war ich im Umgang mit dem anderen
Geschlecht nicht so ein Naturtalent wie meine Freundin Marie. Marie war
diejenige, die am Ende eines Abends mehr Telefonnummern eingesammelt hatte, als
ihre Hand Finger hatte. Ich war diejenige, die, wenn ich mit ihr ausging, ein
Getränk aus Mitleid ausgegeben bekam. Mir fehlte einfach eine gewisse Lockerheit,
was wohl daran lag, dass ich schon als junges Mädchen mit den gut aussehenden
Freunden meiner Brüder konfrontiert worden war. Diese hatten in mir jedoch
immer nur die kleine, nervige Schwester von Patrick und Stefan gesehen. Was zur
Folge hatte, dass sie mich deshalb immer auf den Arm genommen und mich immer
wieder aufs Übelste aufgezogen hatten. Dermaßen eingeschüchtert und
verunsichert hatte ich nach einiger Zeit beschlossen, dass es wohl besser sei,
das Feld zu räumen, wenn meine Brüder ihre Freunde mit nach Hause brachten.
Bereitwillig
erzählte mir Sven mehr von sich. Er war vor drei Monaten für eine
Controllerstelle in der Firma, die Annes Eltern gehörte, von Bielefeld in
unsere Stadt gezogen. Ich fragte ihn nach seinen Hobbys und ein Wort ergab das
andere. Unsere Unterhaltung floss nur so dahin, es gab keinen dieser heiklen
Momente, bei denen wir beide peinlich berührt schwiegen, da uns der
Gesprächsstoff ausgegangen war. Ganz im Gegenteil, wir waren so in unser
Gespräch vertieft, dass wir vom Rest der Party fast nichts mitbekamen. Wir
stellten fest, dass wir einige Gemeinsamkeiten hatten. So unternahmen wir gerne
Radtouren, lasen gerne Krimis, schauten uns aber auch gerne Komödien an und
hatten eine gemeinsame Schwäche für Eis in allen Geschmacksrichtungen. Es kam
mir fast so vor, als seien wir alte Bekannte, die sich nur lange nicht mehr
gesehen hatten und einiges aufholen mussten, um sich auf den neuesten Stand zu
bringen.
„Ihr
amüsiert euch ja bestens.“ Mit diesen Worten kam mein Bruder auf uns zu. Erst
da merkte ich, dass die Party eigentlich schon vorbei war. Sven und ich waren
die letzten Gäste. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es schon nach zwei Uhr
war, ich konnte es noch immer nicht fassen. Wo war die Zeit
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