Einst herrschten Elfen
der ältesten Ansiedlung auf Calaius überhaupt, erhob sich das Gebäude, das in der alten Sprache »Gardaryn« hieß und von den Einheimischen nicht ganz so großartig als »Käfer« bezeichnet wurde. Vor dem Gebäude, dessen Türme von jedem Punkt der Stadt aus zu sehen waren, erstreckte sich ein weiter Platz. Der Umriss erinnerte tatsächlich an den Panzer eines Lianenkäfers und war eine Metapher für gewaltige Kräfte. Selbst ein achtloser Stiefel konnte ihn nicht zerstören.
Die Mauern, errichtet aus den im Steinbruch von Tolt Anoor gewonnenen Quadern, waren unter dem prächtigen Holzdach, dessen Kanten zu beiden Seiten fast bis zum Boden reichten, kaum zu erkennen. Der weite Bogen des Haupteingangs erlaubte den Zugang zum Treppenhaus, das fast fünfzig Schritte hoch bis hinauf zum Rückgrat führte. An den vier Ecken und im Zentrum erhoben sich die Türme. Wenn der Gardaryn tagte, wehten dort rote Fahnen, und eine Ehrenwache in traditionellen dunkelgrünen Uniformen besetzte die Stellungen.
Katyett war mit ihrer TaiGethen-Zelle zuerst die zentrale Treppe hinaufgestiegen und dann bis ganz nach oben ins Gitterwerk der Deckenbalken geklettert. Von dort aus, weit entfernt von der verstörenden Nähe der gewaltigen Menge, die sich auf allen Stühlen, Bänken, Gängen und Vorsprüngen breitgemacht hatte, konnten sie alles verfolgen.
Ganz vorn stand die Bühne, in deren Hintergrund im Halbkreis stufenförmig fünf Sitzreihen eingerichtet waren. Die Sitze waren schlicht, wenngleich gepolstert. Sie waren den Hohepriestern, den Amllan aus allen Dörfern, Orten und Städten und den Abgeordneten aller Linien des Elfenvolks vorbehalten.
Drei Rednerpulte vor den Sitzen waren mit Abbildern von Yniss verziert. Die Kunstwerke zeigten ihn bei der Erschaffung der Erde und der Elfen. Zwischen den im Halbkreis aufgestellten Pulten zeichnete sich ein dunkler Fleck auf dem sonst weiß gescheuerten Steinboden ab. Im Gardaryn war nur ein einziges Mal Blut vergossen worden. Jenes Ereignis würde für immer als schwarzer Tag in der Erinnerung der Elfen bleiben. Der große unregelmäßige Fleck diente als Mahnung an Zeiten, die einige anscheinend wieder heraufbeschwören wollten.
Die Luft summte vor Anspannung. Eine Stunde zuvor war ein Gewitter über Ysundeneth hinweggezogen und hatte Blitze und einen sintflutartigen Regen mitgebracht. Eine Botschaft der Götter, wie manche glaubten. Katyett hielt nicht viel davon. Die Elfen mussten für sich selbst sorgen, wenn sie sich in dieser schwierigen Lage behaupten wollten. Genau deshalb hatten die Götter sie doch in dieses Land geführt. Sie sollten in Harmonie und Frieden leben, das Land lieben und alles achten, was auf ihm lebte und wuchs.
Zu viele hatten dies vergessen, und zu viele der Nachlässigen waren hier versammelt. Die Menge rief, dass die Ansprachen endlich beginnen sollten, und geiferten fast in Erwartung der Ächtung. Katyett war darüber sehr traurig. Sie kannte die Ursache des Zorns, aber keiner dieser Elfen war an jenem schicksalhaften Tag vor zehn Jahren dabei gewesen, als Takaar den Schritt zurück getan hatte. Kein einziger. Sie fragte sich, wer wirklich hinter der Ächtung steckte, und warum sie so lange gewartet hatten, ehe sie den Plan in die Tat umgesetzt hatten. Vielleicht würde es heute ans Licht kommen.
Katyett betrachtete die höchsten Vertreter der Ynissul. Jarinn, Yniss’ Hohepriester, wäre offenbar viel lieber im Tempel von Aryndeneth gewesen. Dann Llyron, die Hohepriesterin Shorths, deren Blick sich nicht beirren ließ. Kalydd, der Amllan von Deneth Barine, der nervös die Hände rang. Pelyn, die Oberin der Al-Arynaar, wirkte wie immer zornig und trotzig. Die Befehlshaberin der Kriegertruppe war natürlich keine Ynissul, aber trotzdem eine Anhängerin Takaars. In naher Zukunft würde es von entscheidender Bedeutung sein, wie sich die aus allen Linien zusammengewürfelten Al-Arynaar verhalten würden.
Katyett ließ den Blick über die Wandteppiche wandern, die hinter den Sitzreihen auf der Bühne aufgehängt waren. Die wundervollen Arbeiten erzählten die Geschichte der letzten Schlachten, des größten Heldentums und der Taten Takaars. Leider waren sie ungenau und unvollständig. Sie fragte sich, wie lange dieser Schmuck noch dort hängen würde.
»Wir könnten ihn jetzt gut gebrauchen«, rief Grafyrre herüber. Er hatte Mühe, das Getöse der Menge zu übertönen.
Katyett drehte sich zu ihrem Tai um. Er hockte rittlings auf einem Balken und lehnte
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