Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
dahin: daß jede noch so spezial erscheinende Forschung im Allergeringfügigsten den Zusammenhang mit der Welterforschung bewahrt und für diese wertvoll werden kann. Stellt man sich die Wissenschaft überhaupt als vollendbar vor, so ist jeder neue Erkenntnisbeitrag, auch der minimalste, wesentlich und unentbehrlich für das Ganze.]
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Kann sich ein Naturgesetz mit der Zeit ändern? Schärfer gefaßt: kann die Zeit als solche, explicite, in die Gesetze eingehen, so daß z. B. ein Experiment, zu verschiedenen Zeiten ausgeführt, verschiedene Resultate ergäbe? Diese Frage ist bereits mehrfach behandelt worden, so von Poincaré, der sie schroff negativ erledigt, aber auch von andern, denen die Unabänderlichkeit der Naturgesetze in aller Ewigkeit nicht festzustehen scheint. Wenn mich mein Gedächtnis nicht irreführt, hat Helmholtz einmal die Konstanz der Gesetze mit leisem Zweifel berührt.
Einstein beantwortete jene Frage radikal verneinend: »Denn das Naturgesetz ist nach der Definition eine Regel, nach der das Geschehen immer und überall stattfindet. Würde man also durch die Erfahrung gezwungen werden, ein Gesetz von der Zeit abhängen zu lassen, so würde dies gebieterisch verlangen: nach einem zeit-unabhängigen Gesetz zu suchen, welches das zeitabhängige in sich als Spezialfall aufnimmt; dieses letztere würde dadurch als Naturgesetz ausgeschaltet und spielte fortan nur noch die Rolle einer Folge aus dem zeitunabhängigen Gesetze«.
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Wie hat man sich zu verhalten, wenn man im Verfolg einer wissenschaftlichen Lehre, bei Innehaltung korrekter Schlüsse, auf etwas Paradoxes stößt? Also auf eine Folgerung, gegen deren Annahme sich unser Denken sträubt, obschon es in der Beweiskette keinen Fehler zu entdecken vermag?
Bevor wir besondere, und wie ich denke sehr interessante Fälle erörtern, wollen wir hören, wie sich Einstein im allgemeinen dazu äußert: »Sobald eine Paradoxie auftritt, wird man in der Regel folgern dürfen, daß in dem betreffenden wissenschaftlichen System irgendwo eine gedankliche Unsauberkeit steckt; man müßte indeß im Einzelfall untersuchen, ob die Paradoxie auf einen logischen Widerspruch zurückzuführen ist, oder ob sie nur eine Brüskierung unserer augenblicklichen Denkgewohnheit bedeutet.«
Nehmen wir zunächst Beispiele aus einer ganz modernen Wissenschaft, aus der von dem Hallenser Georg Cantor begründeten »Mengen-Theorie«, und folgen wir dem Sinn auf dem einzigen hier möglichen Wege, nämlich in losen Andeutungen, die für unseren Zweck genügen, ohne auf sachliche und wörtliche Genauigkeit Anspruch zu machen.
Nehmen wir eine Menge von 3 Gegenständen, z. B. einen Apfel, eine Birne und eine Pflaume. Hieraus lassen sich nach Definition 6 Teilmengen bilden, nämlich
der Apfel
die Birne
die Pflaume
der Apfel und die Birne
der Apfel und die Pflaume
die Birne und die Pflaume
Die Menge der Teilmengen, – welche 6 Elemente enthält, – ist also größer, doppelt so groß als die ursprüngliche Menge, in der nur 3 Elemente vorkommen.
Enthält die ursprüngliche Menge noch ein Element mehr, etwa eine Nuß, so lassen sich die Teilmengen bilden
der Apfel
die Birne
die Pflaume
die Nuß
der Apfel und die Birne
der Apfel und die Pflaume
der Apfel und die Nuß
die Birne und die Pflaume
die Birne und die Nuß
die Pflaume und die Nuß
der Apfel, die Birne und die Pflaume
der Apfel, die Birne und die Nuß
der Apfel, die Pflaume und die Nuß
die Birne, die Pflaume und die Nuß;
hier also ist die Menge der Teilmengen schon recht erheblich größer als die ursprüngliche Menge; diese zahlenmäßige Überlegenheit wächst rapide mit jeder Vergrößerung der Ursprungsmenge, und dehnt man diese Betrachtungen auf eine unendliche Menge aus, so erreicht man bei der Menge der Teilmengen eine Unendlichkeit höheren Grades . Man drückt dies so aus: die unendliche Menge der Teilmengen besitzt eine größere » Mächtigkeit «, als die Unendlichkeit der Elemente der ursprünglichen Menge.
Die eine Unendlichkeit ist also, populär gesprochen, sehr viel umfangreicher, gewaltiger, als die andere. Darin liegt noch keine Denkunmöglichkeit. Allein in einem bestimmten Gedankenexperiment stellt es sich heraus, daß jener Satz mit seiner Progression nicht nur versagt, sondern zu einem offenen Widersinn führt.
Denn wenn man von der Urmenge »aller denkbaren Dinge« ausgeht, so kann deren Unendlichkeit zweifellos von keiner anderen übertroffen werden. Nach dem erwähnten Satz besäße
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