Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
kein Begriff so nachdrücklich geltend gemacht, wie der des » Gesetzes «. Das Naturgesetz bedeutet für uns die eherne Schranke, die den Zufall und die Willkür unerbittlich von der Notwendigkeit abtrennt, und es erscheint uns als unausweichlich, daß schließlich auch der Zufall und die Willkür in diese Notwendigkeit einbezogen werden müssen. Immer stärker werden wir auf die Vorstellung einer suprema lex gestoßen, als des Gesamtausdruckes aller Teilgesetze, die uns die Wissenschaft als mehr oder minder gesicherte Ergebnisse einzelner Untersuchungen anbietet.
Von diesen Einzelgesetzen war die Rede, wie zum Beispiel von denen, die in der Gastheorie, in der Optik usw. gelehrt werden und die sich an die Namen Boyle, Gay-Lussac, Dalton, Mariotte, Huyghens, Fresnel, Kirchhoff, Boltzmann usw. knüpfen. Und im Anschluß hieran fragte ich, ob denn die Gesetze an sich etwas Unbedingtes, unter allen Umständen Erweisbares darstellen; ob es restlos gültige Gesetze gäbe oder überhaupt geben könnte.
Einstein verneinte die Frage im Prinzip: »Endgültig kann ein Gesetz schon deshalb nicht sein, weil die Begriffe, die wir zu ihrer Formulierung benützen, sich jeweils bei Weiterentwicklung der Wissenschaft als ungenügend erweisen. Betrachten wir zum Beispiel einen Elementarsatz, wie das Newtonsche Kraftgesetz, so enthüllt sich der neueren Anschauung der Begriff der unmittelbaren Fernwirkung der Natur gegenüber als ungenau; denn es hat sich gezeigt, daß die Fernwirkung kein Letztes ist, sondern aufgelöst werden muß in eine Vielheit von Wirkungen zwischen unmittelbar benachbarten Orten (Nahewirkungstheorie). Ein anderes Beispiel bietet der Begriff der »Temperatur«. DieserBegriff wird den einzelnen Molekülen gegenüber sinnlos, er versagt, wenn wir ihn auf die kleinsten Teile der Körperlichkeiten übertragen wollen; weil der Zustand, die Geschwindigkeit, die innere Energie der einzelnen Moleküle in den weitesten Grenzen hin- und herschwankt. Der Begriff »Temperatur« ist nur anwendbar auf ein aus vielen Molekülen bestehendes Gebilde, und auch da noch nicht durchweg. Stellen wir uns etwa ein äußerst verdünntes Gas vor, das sich in einem geschlossenen Gefäß befindet. Zwei Seitenwände des Gefäßes sollen verschiedene Temperatur besitzen, so daß einer kalten Wand eine heiße gegenüberliegt. In solchem höchstverdünnten Gas stoßen die einzelnen Moleküle so selten zusammen, daß praktisch nur der Zusammenstoß der Moleküle mit den Wänden in Betracht zu ziehen ist. Die von der heißen Wand kommenden Moleküle haben größere Geschwindigkeit als die von der kalten Wand kommenden, sonach wird der Begriff der Temperatur dieses Gases unhaltbar.
»Ließe sich denn gar nichts von einer Temperaturskala ablesen?« fragte ich. »Der größere oder geringere Wärmegrad eines Körpers, also hier der Gasmasse, hängt doch von der stärkeren oder geringeren Bewegung seiner kleinsten Teile ab; die Bewegungen sind doch immerhin vorhanden, was also würde ein Thermometer ansagen?«
– Nur das eine, daß es nichts anzusagen hat. Brächte man, so erklärte Einstein, in das Gasgefäß ein auf einer Seite geschwärztes Thermometer, so würden sich bei der Drehung des Instrumentes verschiedene Temperaturen zeigen, was soviel bedeutet, als daß der Temperaturbegriff diesem Gebilde gegenüber sinnlos wird. Und über die genannten Beispiele hinaus möchte ich daran festhalten, daß all unsere Begriffe, mögen sie noch so fein ausgedacht sein, der fortschreitenden Erkenntnis gegenüber sich als zu roh, das heißt, als zu wenig differenziert zeigen.
* * *
Wir sprachen über »Eigenschaften der Dinge« und über den Grad ihrer Erforschbarkeit. Als ein extrem zu Denkendes trat die Frage auf:
Gesetzt, es wäre erreichbar, alle Eigenschaften eines Sandkorns zu ergründen, hätte man damit das gesamte Universum erforscht? Bliebe dann für das völlige Begreifen der Welt nichts Ungelöstes zurück?Einstein erklärte, daß diese Frage mit einem unbedingten Ja beantwortet werden müßte. »Denn, würde man wissenschaftlich das Geschehen in dem Sandkörnchen vollständig beherrschen, so wäre dies nur möglich auf Grund der Erkenntnis der exakten Gesetze des zeiträumlichen Geschehens. Diese Gesetze – Differentialgleichungen – wären überhaupt die allgemeinsten Weltgesetze, aus denen sich der Inbegriff alles anderen Geschehens müßte deduzieren lassen.
[Man kann diesen Gedanken auch noch nach anderer Richtung fortspinnen; so
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