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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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werden. Dann wird die »Zeit« eines Ereignisses definiert als die Zeigerstellung der ihm räumlich unmittelbar benachbarten Uhr.
    Einstein steht sonach in diesem Punkte auf dem Standpunkt, den Schopenhauer bei Erlaß seines Hauptwerks vertrat: »Es gibt zum Verständnis solcher Schrift keinen anderen Rat, als sie zweimal (mindestens) zu lesen, da der Anfang das Ende beinahe ebensosehr voraussetzt, als das Ende den Anfang; der kleinste Teil kann nicht völlig verstanden werden, ohne daß schon das Ganze verstanden sei.« Wer diesen Rat als gültig anerkennt und befolgt, der erlebt es, daß die zwischendurch auftauchenden Einwände sich allmählich wechselseitig korrigieren und aufheben, ohne daß damit der einheitliche Fluß der Entwickelung ihretwegen unterbrochen zu werden brauchte.
    Etwas anders steht es, wenn ein Herold der neuen Lehre sich entschlösse, der streng wissenschaftlichen Beweisführung überhaupt zu entsagen und dem Leser oder Hörer unter Verzicht auf alle und jede Genauigkeit entgegenzukommen. Ein solches Programm ist wohl denkbar.
    Das wäre eine rein feuilletonistische Methode, sagte Einstein; aber Sie glauben doch nicht etwa im Ernst, daß sich damit etwas ausrichten läßt.
    »Nicht im Sinne einer wirklichen Erklärung, die den Fachschriften vorbehalten bleibt. Aber ich denke mir, daß es aussichtsreich wäre, dem gänzlich Unkundigen mit Kunstgriffen beizuspringen; mit Gleichnissen und Allegorien, die ihn stützen werden, wenn er im Verlauf der Studien zum erstenmal erschrickt. Dieses Erschrecken bleibt ihm nicht erspart, sobald er zum Beispiel erfährt, daß ein bewegter, fester, starrer Maßstab sich in der Bewegungsrichtung verkürzt .«
    – Das wird ihm ja bewiesen!
    »Aber er kommt trotzdem nicht darüber hinweg. Denn mein Unkundiger, der Herr Jedermann, sagt sich: Hier wird meinemDenken etwas Unerhörtes zugemutet. Ein starrer Maßstab ist das Konstanteste vom Konstanten, und nie zuvor ist es dagewesen, daß man etwas so Konstantes als veränderlich anzusehen gezwungen wurde.«
    – Wenn er's nicht begreift, wird ihn auch ein Gleichnis nicht belehren.
    »Vielleicht doch. Das Gleichnis soll ihm zeigen, daß nichts ›Unerhörtes‹ an ihn herantritt, daß die denkende Menschheit sich schon vordem mit derartigen Umwandlungen von Konstantem zu Veränderlichem angefreundet hat...«
    – Ich fürchte, Ihr Gleichnis wird übel ausfallen.
    »Wissenschaftlich genommen, allerdings, weil es hinken wird, wie alle Vergleiche. Aber als Notbehelf kann es Dienste leisten. Lieber Freund Jedermann, würde ich sprechen, stelle dir einmal einen Gelehrten des Mittelalters vor, der über die Beschaffenheit der Tiere und Pflanzen nachdenkt. Eines steht für ihn unverrückbar fest: »die Arten sind unveränderlich!« Palme ist Palme, Pferd ist Pferd, Wurm ist Wurm, Reptil war, ist und bleibt Reptil. Die Art in sich bedeutet bombenfest etwas › Invariantes ‹.«
    – Der Ausdruck ist in diesem Zusammenhang inkorrekt; Sie wollen sagen: etwas » Invariables «.
    »Auf eine Inkorrektheit mehr oder weniger kommt es schon nicht an. Ich möchte gern, der Analogie wegen, das Begriffspaar Variant-Invariant festhalten. Also jener Gelehrte hat den Arten gegenüber die Vorstellung des Invarianten; wie sie ja noch ähnlich Linné und Cuvier hegten. Notwendigerweise findet diese Auffassung in seinem Denken ein Gegenstück: Jede Art hat ihre eigene, ihre besondere Entstehungswurzel, in dieser Hinsicht also herrscht die weiteste » Varianz «; die Grundwurzeln sind höchst vielfältig, die Natur hat zahllose Variationen in den einzelnen Schöpfungsakten hervorgebracht. Nun setzt die Deszendenztheorie ein nach Lamarck, Goethe, Oken, Geoffroy St. Hilaire und bewirkt in beiden Punkten eine komplette Umkehrung, eine völlige Vertauschung. Jener Gelehrte hat seine ganze Gedankenwelt umzukrempeln: Alle Organismen gehen einheitlich auf eine gemeinsame Entstehungswurzel zurück, diese – vordem variant – wird invariant ein einzelliges Urgeschöpf, – jede scheinbar unveränderliche Art aber wird nunmehr variant , unbedingt und im weitesten Sinne veränderlich. Und wenn jener Gelehrte zuerst ausruft: Welche unerhörte Zumutung an mein Denken, so empfindet sein später Enkel gar keine Schwierigkeit mehr bei dem Gedanken, daß die organischen Wurzeln vereinheitlicht werden und die Arten, jede fürsich, zur Kompensation allen erdenklichen Verschiebungen unterliegen.«
    Einstein war von diesem Versuch höchst unbefriedigt und fand

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