Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Verehrung, die vom Verstande ausging, ist in ihm Temperamentssache und Herzenskult geworden.
Es genügt, den Namen Newton anzuschlagen. Und auch das ist kaum nötig, denn er ist immer nahebei, und wenn ich etwa zufällig von Cartesius anfange oder Pascal, so wird doch binnen kurzem bei Newton gelandet. Andra moi ennepe! –
Einmal begannen wir mit Laplace; und es sah fast so aus, als sollte dessen Traité de la mécanique céleste Gegenstand der Erörterung werden. Da erhob sich Einstein, pflanzte sich vor seine Wandgalerie, strich sich nachdenklich durchs Haar und erklärte:
Als die allergrößten Schöpfer betrachte ich Galilei und Newton , die man gewissermaßen als eine Einheit aufzufassen hat. Und in dieser Einheit bedeutet Newton den Vollender der gewaltigsten Geistestat im Bereiche unserer Wissenschaft. Diese beiden haben zuerst eine auf wenige Leitsätze gegründete Mechanik geschaffen, als allgemeine Theorie der Bewegungen, deren Gesamtheit die Vorgänge des Weltgeschehens darstellt.
Kann man sagen, unterbrach ich, daß das Galileische Grundgesetz der Trägheit ein Erfahrungssatz ist? Ich frage deshalb, weil doch die ganze Naturkunde als Erfahrungswissenschaft gilt, nicht als etwas in Spekulation konstruiertes. Und so könnte man doch auf die Vermutung kommen, daß ein Elementarsatz wie der von der geradlinigen Bewegung aus der elementaren Erfahrung abzuleiten wäre. Ist dies aber der Fall, warum mußte die Naturkunde so lange auf dieses Einfache warten? Die Erfahrung war doch schon immer vorhanden, und so hätte doch schon bei der allerersten Untersuchung nach Warum und Weil der Trägheitssatz auftauchen müssen?
Durchaus nicht! sagte Einstein. Die Erkenntnis von der geradlinigen Bewegung eines sich selbst überlassenen Körpers fließt keineswegs aus der Erfahrung. Im Gegenteil! Auch der Kreis galt als einfachste Bewegungslinie und ist von den Vorgängern vielfach als solche ausgerufen worden, so von Aristoteles. Es gehörte die enorme Abstraktionsfähigkeit eines Geistesriesen dazu, um die geradlinige Bewegung als die Grundform zu etablieren.
Hinzuzufügen wäre, daß vor und sogar noch nach Galilei nicht nur der Kreis, sondern auch andere nichtgerade Linien als die naturgegebenen, primären, von Denkern und Pseudodenkern betrachtetworden sind; und daß sie sich herausnahmen, aus ihren krummlinigen Anschauungen Welterscheinungen zu erklären, die nur klar werden können, wenn man sich Galileis Abstraktion zu eigen gemacht hat.
Ich fragte, ob schon in Galileis Fallgesetzen die Gravitationslehre implicite enthalten war. Dies verneinte Einstein: Die Gravitation kommt ganz und gar auf Newton, als unerhörte Geistestat, deren Stärke unvermindert bleibt, selbst wenn man gewisse Vorläuferschaften anerkennen will. Er nannte Robert Hooke, der unter anderen von Schopenhauer gegen Newton ausgespielt wird. Gänzlich mit Unrecht und aus kleinlicher Antipathie, die in Schopenhauers unmathematischer Denkart wurzelt. Die Weite des Unterschiedes, der zwischen Hookes Gravitations-Ansätzen bis zu Newtons Monumentalbau liegt, vermochte er gar nicht zu beurteilen.
* Schopenhauer wirtschaftet (im 2. Bande der Parerga) mit zwei Argumenten, um Newton zu verdächtigen. Erstens mit der Berufung auf zwei von ihm mißverstandene Quellenwerke, zweitens auf eine von ihm selbst entwickelte psychologische Studie. Mit psychologischen Mitteln, also mit Werkzeugen, die hier soviel Sinn haben, wie etwa die Integralrechnung in der ethischen Psychologie, kommt er zu dem Ergebnis, daß die Priorität der Entdeckung dem andern zukomme; dem armen Hooke sei es ergangen, wie dem Kolumbus: es heißt »Amerika«, und es heißt »das Newton'sche Gravitationssystem!«
Wobei Schopenhauer gänzlich vergessen hat, daß er selber wenige Seiten vorher Newtons unvergänglichen Ruhm aus vollen Backen geblasen hatte; mit den Worten: »Um den Wert des von Newton jedenfalls zur Vollendung und Gewißheit erhobenen Gravitationssystems in seiner Größe zu schätzen, muß man sich zurückrufen, in welcher Verlegenheit hinsichtlich des Ursprungs der Bewegung der Weltkörper, die Denker sich seit Jahrtausenden befanden.« Hier ist die Stimme der Wahrheit. Newtons Größe ist wirklich nur zu erfassen, wenn man den Maßstab der Jahrtausende zu Hilfe ruft.
Operierte Schopenhauer mit der Psychologie und mit dem Prinzip des Weltwissens, so versuchte sein auf diesem Gebiet noch bedeutend konfuserer Antagonist Hegel durch angeblich reine Anschauung der krummen
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