Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
gelüstete, in weitestem Umkreise alle Wohnstätten zu pulverisieren, brauchte nur zu wollen, um es zu vollbringen. Sämtliche Bombardements seit Erfindung der Feuerwaffen zusammengenommen wären eine harmlose Kinderspielerei gegen den Zerstörungseffekt, der sich mit ein paar Eimern Kohle ausrichten ließe.
Man sieht bisweilen am Himmel Sterne aufleuchten und wieder verschwinden, und man schließt dabei auf Weltkatastrophen. Die Deutung, ob Wasserstoff-Explosion oder Zusammenstoß zweier Körper, ist ungewiß. Es bleibt Raum für die Annahme, daß sich dort in Weltenfernen etwas ereignet, was ein bösartiger Erdenbürger mit atomspaltender Technik auch hier nachmachen könnte. Und wenn die Phantasie auch allenfalls ausreicht, um sich den Segen jener Energieauslösung auszumalen, so muß sie doch vor deren Unheilwirkung vollständig versagen.
Einstein schlug mir ein gelehrtes Werk des Züricher Physiko-Mathematikers Weyl auf und zeigte mir darin eine Stelle, die von solcher exorbitanter Energieauslösung handelt. Sie war, wie mir schien, auf den Ton eines Stoßgebetes abgestimmt: möge der Himmel verhüten, daß derartige Explosivkräfte jemals auf die Menschheit losgelassen werden!
Vielerlei Vergleiche ließen sich ausspinnen, alle unter dem Zeichen der vorläufigen Unmöglichkeit. Es wäre denkbar, durch ein noch unentdecktes chemisches Verfahren Alkohol so reichlich und wohlfeil von und für jedermann herzustellen, wie Trinkwasser. Damit wäre die Spirituosennot beendet und ein delirium tremens für Hunderttausende gesichert. Das Unheil würde weitaus überwiegen, es wäre indes nicht ganz unabwendlich, denn man kann sich, wenn auch schwer genug, Gegenmaßregeln vorstellen.
Die Kriegstechnik könnte Fernwaffen erzeugen, die es einer kleinen Rotte von Abenteurern ermöglichte, eine Großmacht niederzuzwingen. Man wird einwenden: dann gilt dies auch vice versa. Trotzdem bleibt bestehen, daß solche Fernwaffen wahrscheinlich die Kulturwelt ruinieren würden. Der Hoffnung bliebe ein letzter Ausweg nur im Hinblick auf die überragende Moralitätder Zukunft, die der Optimist als force majeure sich vorzustellen vermag.
Nur gegen zwei Erfindungen, die an sich als Triumphe des Geistes aufträten, gäbe es keine Hilfe: die erste wäre die Verallgemeinerung des Gedankenlesens, mit der sich bereits Kant unter dem Stichwort »das laute Denken« beschäftigt hat. Was heute als ein vereinzeltes, höchst mangelhaftes telepathisches Kunststück auftritt, könnte eine Vervollkommnung und Verbreitung erfahren, wie sie Kant als auf einem fernen Planeten immerhin nicht unmöglich erachtet. Dieser Erfindung würde der Verkehr von Mensch zu Mensch nicht standhalten, und wir müßten Engel sein, um sie auch nur einen Tag zu überleben.
Die zweite Erfindung wäre die Lösung des vorgenannten mc²+-Problems, das ich nur deshalb ein Problem nenne, weil ich einen anderen Ausdruck nicht finde; während es für Einstein so wenig ein Problem bedeutet, dass er erst in meiner Gegenwart zu rechnen begann, um die Buchstabenformel in Zahlen zu verwandeln. Für uns andere Erdensöhne mag sich daraus eine Utopie entwickeln, ein kurzer Freudenrausch mit dem kalten Sturzbach dahinter – Einstein steht darüber als der reine Erforscher, den nur die wissenschaftliche Tatsache angeht, und der schon beim ersten Entstehen dieser Erkenntnis ihre rein theoretische Bedeutung gegen jede praktische Ausfolgerung verwahrt. Will dann ein andrer zu phantastischem Blattgold auswalzen, was er als physikalisches Goldkorn hinlegt, so lässt er ihm das Vergnügen des Gedankenexperimentes. Denn zu den Grundzügen seines Wesens gehört die Toleranz.
Einer der tüchtigsten Herolde der neuen Lehre, A. Pflüger, hat den nämlichen Gegenstand in seiner Abhandlung »Das Relativitätsprinzip« berührt. Ich hörte von Einstein lobende Worte über diese Schrift, und erwähnte dabei, dass der Verfasser die Möglichkeiten des mc² doch anders beurteilt, als Einstein selbst. Es heißt in jener Abhandlung beim Ausblick auf die mögliche praktische Bedeutung: »Nach hundert Jahren wollen wir wieder darüber sprechen.« Ein kurzes Limitum, wenn es auch keiner von uns erleben wird. Einstein lächelte über die Hundertjahrspause und wiederholte nur: »eine recht gute Abhandlung!« Es kommt mir nicht zu, dem zu widersprechen. Und was die Zeit-Prognose betrifft, so ist wohl das beste darin für die Menschheit, dass sie sich als falsch erweisen wird. Ist ihr das Optimum unerreichbar,
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