Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
wo ihn die berühmte Fakultät unter den Auspiziendes großen Physikers Lorentz zur Übernahme einer Ehrenprofessur erwartete. Das war nicht der erste derartige Akt und wird nicht der letzte bleiben. Es geht für ihn wie eine Welle der Auszeichnungen durch die Welt. Gewiß, die Hochschulen, die ihm das Diplom »honoris causa« verleihen, ehren sich selbst damit. Aber Einstein hat ein offenes Herz für den Wert dieser Auszeichnungen, die er nur als der Sache geltend auffaßt. Ihm macht es Freude der Prinzipien wegen, die gekrönt werden, und er betrachtet sich dabei im wesentlichen nur als den vom Geschick bestimmten persönlichen Exponenten dieser Prinzipien.
Mir, als dem bescheidenen Teilnehmer dieser Gespräche, kommt es vielleicht noch stärker als ihm selbst zu Bewußtsein, was dieser Sturm und Drang um einen Gelehrten bedeutet. Denn ich bin ein alter Herr, der – leider – in Hochschuldingen sehr viel weiter zurückdenkt und Vergleiche aufzustellen vermag, die Einstein fehlen. Vordem, anno olim, aber schon zu meiner Zeit, gab es in Berlin ein Auditorium maximum, das eigentlich nur ein einziger zu füllen vermochte, Eugen Dühring , der bedeutende ewige Privatdozent, der später in Zwistigkeiten mit überlegenen Größen akademischen Schiffbruch erlitt. Aber bevor er gegen Helmholtz anrannte, galt er als der beispiellose Magnet, da er in seinen philosophischen und volkswirtschaftlichen Vorträgen die damals unerhörte Zahl von dreihundert Hörern versammelte. Heute, bei Einstein, ist die vierfache Zahl erreicht worden, so daß das Scherzwort in Umlauf kam: Sein Auditorium ist nie zu verfehlen –, wo alle hinwollen, dort ist es! Will man vergleichen, so hat man außer der Fülle auch die Treue der Gemeinde zu bewerten. Mancher Hervorragende von ehedem hatte Ursache faustisch zu klagen: »hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen, so hatt' ich dich zu halten keine Kraft«. Helmholtz fing regelmäßig im Semester vor übervollem Hörsaal an, allein sehr rasch wurde es einsam um ihn, und er selbst wußte es am besten, daß ein Lehrfluidum von ihm nicht ausging. Aber die Universitätsgeschichte erzählt noch von einem Glänzenden, der in diesem Betracht aus dem Jubel in die Enttäuschung fiel. Ich nenne den in diesem Zusammenhang gewiß sehr überraschenden Namen –: Schiller! Der hatte als Geschichtsdozent seine erste Vorlesung in Jena angesetzt, mit einer Erwartung von etwa hundert Studiosen. Aber Trupp auf Trupp wälzte sich heran, und Schiller, der die Flut vom Fenster aus beobachtete, hatte den überwältigenden Eindruck, das wolle gar kein Ende nehmen. Die ganze Straße kam in Alarm, man glaubte anfangs, es wäre ein Feuertumult, und am Schlossegeriet die Wache in Bewegung – und bald darauf trostlose Ebbe – die erste Neugier war gestillt, die Hörerschaft verdunstete, ein Beweis, daß der Nimbus des Namens nicht ausreicht, um das Interesse von der Lehrkanzel zum Saale aufrechtzuerhalten.
Ich erwähnte jenes Beispiel gerade damals, da Einstein, als Lehrer die Rekordziffer von 1200 in aufsteigender Linie erreicht hatte, ohne daß es, mir an diesem Tage gelang, eine auffällige Freude darüber bei ihm selbst festzustellen. Ich erhielt den Eindruck, daß er sich in dem ungeheuren Raume stimmlich überanstrengt hatte. Davon war in der Stimmung der Ansatz einer leise nachwirkenden Unbehaglichkeit spürbar. Er ließ sogar in einer skeptischen Anwandlung das Wort »Modesache« fallen. Damit, so nehme ich an, wird es ihm nicht völlig Ernst gewesen sein. Daß ich gegen den Ausdruck opponierte, versteht sich von selbst. Aber auch dann, wenn er einen berechtigten Kern enthielte, könnte man sich eine solche Mode auf rein geistigem Gebiet, die nun schon so lange anhält und gesegnete Dauer verspricht, schon gefallen lassen. Die Welt könnte genesen, wenn Moden dieser Art recht kräftig in Schwang kämen. Psychologisch ist es ja durchaus begreiflich, daß Einstein sich selbst gegen seinen Ruhm in eine Art von Notwehr versetzt; und daß er ihm gelegentlich mit Sarkasmus beikommen möchte, da er in sachlichem Ernst nichts gegen ihn ausrichten könnte.
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Ob Einsteins Gedanken und Vorschläge in Sachen der Unterrichtsreform auf ganzer Linie durchführbar sein werden, mag dahinstehen. Wir wollen uns darüber klar sein, daß ihre freigeistige Verwirklichung auch gewisse Opfer erfordern würde; und von dem Ausmaß dieser Opfer wird es abhängen, wie die nächste und übernächste Generation hinsichtlich ihrer
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