Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Provinzialliteratur, und nicht eine weltgültige, wenn nicht jenes Bekenntnis allzeit durchgegriffen hätte.
Taucht die Frage auf: wo sollen die jungen Leute in der Stoffbedrängung die Zeit für altklassische Spracherlernung hernehmen? so soll die verbesserte Methodik die Antwort erteilen. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß schon die alte nicht so übel war. Goethe ist zur Erwerbung von allerlei Kenntnissen und Geistesfertigkeiten nicht in Verlegenheit gekommen, obschon er schon als achtjähriger Knabe ein Latein schrieb, das uns im Vergleich zu manchem Gestümper moderner Primaner direkt ciceronianisch anspricht. Montaigne vermochte sich früher auf lateinisch als auf französisch auszudrücken und er wäre ohne das »lateinische Blutgift« in seinen Adern nicht Montaigne geworden.
Es ist mir noch gar nicht erwiesen, ob die gebildete Menschheit nicht eines fernen Tages zum ehedem selbstverständlichen altklassischen Sprachboden zurückkehren wird, und zwar gerade aus Gründen verschärfter Zeitökonomie. Falls nicht etwa dievon Hebbel ersehnte Universalsprache – nicht zu verwechseln mit einem künstlich gedrechselten Esperanto – Wirklichkeit wird. Aber auch diese völkerverbindende, heute noch utopische Universalsprache wird in ihrem Zellenbau das antike Muster erkennbar machen. Die Wissenschaftssprache von heute zeigt, wohin der Weg geht. Und der wird sich erschließen trotz aller Verrammlungsversuche teutonischer Sprachheiliger und Humanistentöter.
Aus der Gedankenarbeit der Forscher strahlt Sprachwirkung. Und da sie, wie ganz natürlich, antike Ausdrucksformen reichlich in Anspruch nehmen, so treten sie damit eigentlich als Anwälte eines Unterrichts auf, der diese Ausdrücke nicht nur als Bestandteile eines Volapük, sondern organisch verständlich macht. So verfahren sie, wenn sie forschen, schreiben und aus ihrem eigenen Fach vortragen. Sollen sie aber entscheiden, wie die Schule in wirklicher Ausübung zu verfahren hat, so tritt wiederum die Zeitsorge für sie in den Vordergrund, das heißt die Pflicht, das ihnen Wichtigere zu bevorzugen. Und hieraus ergibt sich der Wunsch, die Sprachfächer auf möglichst karge Stundenration zu setzen.
Wir besitzen hierüber eine Auseinandersetzung des hier schon mehrfach mit größtem Respekt erwähnten Ernst Mach , die das obwaltende Dilemma in reinster Form aufzeigt. Er behandelt die eminent bedeutungsvolle Frage mit der größten Eindringlichkeit und gelangt ungefähr zu dem gleichen Ergebnis wie Einstein . Freilich intoniert er zunächst einen höchst ergreifenden Latein-Psalm, beinahe in Schopenhauerischer Tonart. Im Unterton klingt die Elegie darüber, daß das Latein nicht mehr, wie im 15. bis 18. Jahrhundert, das allgemeine Verständigungsmittel der Kulturellen darstellt. Seine Eignung hierzu ist völlig unbestreitbar, denn es vermag sich jeder Begriffsbildung, selbst der feinsten und modernsten, anzupassen.
Wie hat Isaac Newton die Naturwissenschaft mit neuen Begriffen bereichert, die er allesamt ganz korrekt und scharf in lateinischer Sprache zu bezeichnen wußte! Schon vermeint man die Folgerung zu hören: »also lerne der junge Mensch die alten Sprachen«! – aber nein, es kommt anders. Es soll genügen, wenn er die Weltworte versteht, ohne philologisch ihre Herkunft zu erfahren.
Man braucht kein Oberlehrer zu sein, um sich von diesem Schluß wenig befriedigt zu fühlen. Gewiß, man kann ohne Kenntnis des Arabischen den Sinn und die Bedeutung des Wortes »Algebra« erfassen; und so mag man auch eine Reihe griechisch-lateinischer Ausdrücke dem Inhalt nach in sich aufnehmenohne ihre Wurzel etymologisch zu beschnüffeln. Aber diese Ausdrücke gehen in die Hunderte und Tausende, vermehren sich noch täglich, und es fragt sich doch, schon rein zeitlich genommen, ob es praktisch ist, sie als sprachfremde Einzelwesen kennen zu lernen oder als Erzeugnisse eines Sprachbodens, auf dem man sich einmal fürs ganze Leben heimisch gemacht hat.
Ich brauche kaum besonders zu betonen, daß Einstein selbst mit diesen Fachworten nicht spart, auch da nicht, wo er sich volksverständlich ausdrückt. Er setzt voraus oder führt ein, um nur ganz wenige zu nennen: Kontinuum, Koordinatensystem, dimensional, Elektrodynamik, kinetische Theorie, Transformation, kovariant, heuristisch, Parabel, Translation, Aequivalenzprinzip, und er wird mit vollem Recht annehmen, daß jedermann die Worte geläufig sind, die Allgemeingeltung erlangt haben wie: Gravitation,
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