Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Spektralanalyse, Ballistik, Phoronomie, Infinitesimal, Diagonale, Komponente, Peripherie, Hydrostatik, Zentrifugal und dazu zahllose andere, welche die gebildete Vulgärsprache nach allen Richtungen durchsetzen. Alle zusammen stellen ein Fremdland dar, in dem sich der Eindringende allenfalls zurechtfindet, wenn er Erläuterungen, Auskünfte, Übersetzungen erhält, während er sich bei leidlicher sprachlicher Vorbildung durchweg heimatlich angesprochen fühlt, wobei der allgemeine Bildungswert der Sprachkunde in Betracht der Erschließung antiken Schrifttums und der hellenischen Kultur noch gar nicht in Ansatz gebracht wird.
Möglich, daß ich hier allzusehr als laudator temporis acti spreche dem ganz modernen Empfinden Einsteins gegenüber. Wir befinden uns hier eben auf einem Gebiet, wo nichts unter Beweis zu stellen ist, alles vielmehr von Stimmung und eigenem Erleben abhängt. Zu diesem Erleben gehört für mich, daß ich in frühester Jugend trotz damaliger geradezu abschreckender Schulmethode mit Liebe Latein und Griechisch trieb, daß ich Horazische Oden auswendig lernte, nicht weil ich mußte, sondern weil sie mir klangen, und daß mir im Homer eine Welt aufging. Wenn Einstein dem Drill flucht, so fluche ich gern mit; jene Sprachen brauchen nicht parademarschmäßig betrieben zu werden. Aber das betrifft die Methode, nicht die Sache. Und in der Sache öffnet ja Einstein einen Ausweg, indem er die Klassengabelung befürwortet. Er trennt die Pfade, gibt dem einen seinen besonderen Segen, hindert aber die Pilger auf dem andern nicht, auf ihre Weise glücklich zu werden.
* * *
Wir sprachen vom Frauenstudium , und Einstein äußerte sich zu diesem Kapitel, wie zu erwarten war, durchaus tolerant, allein ohne die Geberde eines Vorkämpfers anzunehmen. Es war nicht zu verkennen, daß er sich bei aller Zustimmung leise Klauseln theoretischer Art vorbehielt.
Man soll den Frauen, sagte er, wie überhaupt, so auch für ihre wissenschaftlichen Studien alle Wege ebnen. Aber man soll es mir nicht verdenken, wenn ich den möglichen Resultaten mit einiger Skepsis entgegensehe. Ich denke dabei an gewisse Widerstände in der weiblichen Organisation, die wir als naturgegeben zu betrachten haben und die uns verwehren, denselben Erwartungsmaßstab wie beim Manne anzulegen.
»Sie glauben also, Herr Professor, daß Höchstleistungen von Frauen nicht erzielt werden können? Um bei der Naturkunde zu bleiben: wäre nicht eine Erscheinung wie Frau Curie als Gegenbeweis auszuspielen?«
– Wohl doch nur als Beweis einer glänzenden Ausnahme, deren noch mehrere auftreten können, ohne das geschlechtliche Organisationsstatut zu erschüttern.
»Vielleicht wäre dies doch möglich unter Zubilligung längerer Zeiträume für die Entwicklung. Die Genies mögen drüben viel seltener sein, die Talente haben sich doch merklich gehäuft. Oder anders ausgedrückt: die weiblichen Garnichtswisser sind seltener geworden. Sie, Herr Professor, können ja zu Ihrem Glück eine Gesellschaft mit jungen Damen von heute nicht mit einer vor vierzig Jahren oder länger vergleichen. Ich aber kann es, und wie ich es ehedem selbstverständlich fand, daß es von Gaken und Puten wimmelte, so staune ich heute unablässig über das Maß der erworbenen Bildung bei der jungen Weiblichkeit. Oft muß man sich gehörig zusammennehmen, um sich nicht von der Tischnachbarin allzusehr überflügeln zu lassen. Je mehr sich nun die Talentschicht verbreitert, desto mehr Genialität ist doch auch für die Zukunft zu erwarten.
– Sie ergehen sich gern in Prognosen, sagte Einstein, und rechnen dabei mit Wahrscheinlichkeiten, für die eine genügende Unterlage fehlt. Die vermehrte Bildung und selbst die Zunahme der Talente sind quantitative Voraussetzungen, die einen Schluß auf gesteigerte Qualitätsgrade bis hinauf zum Genie sehr gewagt erscheinen lassen. In Einsteins Gesicht zuckte es wetterleuchtend, und ich merkte, daß er zu einem sarkastischen Aphorismus ausholte. Dieser entlud sich auch wirklich, denn ich bekam zu hören: »Es wäre doch möglich, daß die Natur ein Geschlecht ohne Hirn erschaffen hätte!«
Ich verstand den Sinn dieser keineswegs in wörtlichem Ernst zu nehmenden Groteske. Sie sollte in lachender Übertreibung eben nur verstärken, was er schon vorher als den Grund seiner mangelnden Erwartung bezeichnet hatte: die organische Differenz, die vom Körperlichen ausgehend sich irgendwo im Geistigen äußern müsse. Die weibliche Psyche, als im Triebleben
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