Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Unglück, wenn der Schüler nichts von Alexander dem Großen erfährt, nichts von Dutzenden anderer Eroberer, deren archivarischer Nachlaß sein Gedächtnis als toter Ballast befrachtet. Soll schon in die graue Vorzeit hineingestiegen werden, so erspare man ihm den Cyrus, Artaxerxes, Vercingetorix und erzähle ihm etwas von den Kulturträgern Archimedes, Ptolemäus, Heron, Appollonius, von Erfindern und Entdeckern, um nicht das ganze Pensum als eine Folge von Abenteuern und Blutbädern abzurollen.
Wäre es nicht zweckmäßig, warf ich ein, vom Geschichtsunterricht einige Stunden für die Einführung in die wirkliche Staatenbildung mit Einschluß der Soziologie und der Gesetzeskunde abzuzweigen?
Dies hält nun Einstein nicht für wünschenswert, obschoner persönlich allen Gestaltungen des öffentlichen Lebens das lebhafteste Interesse entgegenbringt. Eine schulmäßig betriebene politische Vorbildung lehnt er ab; vornehmlich wohl deshalb, weil sich auf diesem Gebiet der sachliche Unterricht von der amtlichen Beeinflussung nicht trennen läßt, und weil ihm die Beschäftigung mit politischen Dingen für ungereifte Geister als verfrüht erscheint. Die Verknüpfung des Jünglings mit den Anforderungen des modernen Lebens denkt er sich ganz anders, abseits jeder Theorie, wie er ja durchweg einen Ausgleich für die einseitige Belastung des jugendlichen Intellekts erstrebt. »Ich verlange die obligatorische Einführung einer praktischen Betätigung. Jeder Schüler muß ein Handwerk lernen. Die Wahl stehe ihm frei, aber keiner dürfte mir aufwachsen, der es nicht zu einer Handfertigkeit gebracht und als Schreiner, Buchbinder, Schlosser oder was es sei, ein brauchbares Gesellenstück geliefert hätte.«
Legen Sie dabei den Hauptwert auf die Fertigkeit selbst oder auf das Gefühl einer sozialen Zusammengehörigkeit mit den breiten Schichten des Volkes?
– Beide Gesichtspunkte sind mir gleich wichtig, sagte Einstein, und noch andere treten hinzu, um meinen Wunsch zu rechtfertigen. Das Handwerk braucht für den Schüler der höheren Lehranstalt nicht einen goldenen Boden zu bedeuten, aber es wird das Fundament verbreitern und festigen, auf dem er als sittliche Persönlichkeit zu stehen hat. Zunächst sollen auf der Schule nicht zukünftige Beamte, Gelehrte, Dozenten, Rechtsanwälte und Bücherschreiber geformt werden, sondern Menschen, nicht bloße Gehirnexistenzen. Prometheus fing bei der Menschenerziehung nicht mit der Astronomie an, sondern mit dem Feuer und der bildnerischen Werktätigkeit ...
Ich denke dabei noch an einen andern Vergleich, ergänzte ich: nämlich an die alten Meistersinger, die da allesamt tüchtige Schmiede, Spengler, Schuhmacher waren und sich doch eine Brücke zur Ausübung der Künste bauten. Und im Grunde gehören ja auch die Wissenschaften zu den freien Künsten. Aber ich komme hier doch an eine Schwierigkeit. Indem Sie das obligatorische Handwerk fordern, betonen Sie nützliche Praxis, während Sie sonst in Ihren Ausführungen die Wissenschaft an sich als etwas von der Praxis ganz Unabhängiges erklären.
Das tue ich nur, sagte Einstein, wenn ich von den allerletzten Zielen der reinen Forschung spreche, also von Zielen, die nur einer verschwindenden Minderheit erkennbar werden. Es wäre völlig weltfremd, diese Ansicht auch dort zu vertreten und ihr regulative Wirksamkeitzu wünschen, wo es sich im besten Falle um die Vorbereitungen zur Wissenschaft handelt. Im Gegenteil halte ich dafür, daß auf der Schule das Wissenschaftliche weit praktischer betrieben werden könnte, als heute der Fall, wo mir das Doktrinäre noch viel zu viel überwiegt. Um beispielsweise nochmals auf den mathematischen Unterricht zurückzukommen, so erscheint er mir fast durchweg schon deshalb verfehlt, weil er nicht auf dem Praktisch-Interessanten, sinnlich Erfaßbaren, Anschaulichen, aufgebaut wird. Man füttert Kinder mit Definitionen, anstatt ihnen etwas Begreifliches zu zeigen, und man verlangt von ihnen Verständnis für rein Begriffliches, ohne daß man ihnen die Möglichkeit gibt, vom Konkreten zum Abstrakten zu gelangen. Das läßt sich aber sehr gut bewerkstelligen. Die ersten Anfangsgründe müßten gar nicht in der Schulstube gelegt werden, sondern in freier Natur. Man zeige dem Knaben, wie eine Wiesenfläche ausgemessen, mit einer andern verglichen wird, man lenke seine Aufmerksamkeit auf die Höhe eines Kirchturms, auf die Länge des Schattens, den er wirft, auf den zugehörigen Sonnenstand, und er wird
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