Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
leerräumliches Etwas? Descartes und mit ihm so viele andere Große sind niemals über diese Denkschwierigkeit hinweggekommen, sie haben dauernd die Unmöglichkeit eines geschlossenen Weltkontinuums behauptet. Wie soll sich da Unsereiner mit den von Ihnen etablierten Maßen abfinden?
Und an diesem Punkt vernahm ich von Einstein ein Wort,das dem geängstigten Bewußtsein einen letzten Ausweg zu öffnen schien: Es ist möglich, so sagte er, daß andere Universen außer Zusammenhang mit diesem existieren.
Das will sagen: außer einem jemals erforschbaren Zusammenhang. Selbst wenn Beobachtung, Rechnung, theoretische Ergründung eine Ewigkeit vor sich hätten, wird und kann niemals irgend etwas aus solcher Ultra-Welt in unser Bewußtsein fallen. Stellen Sie sich vor, fügte er hinzu, die Menschen wären zweidimensionale Flächenwesen, die auf einer Ebene von beliebiger Ausdehnung lebten; mit Organen, Instrumenten und Denkvorrichtungen, die streng auf diese Zweidimensionalität eingestellt sind. Dann könnten sie äußersten Falles alle Erscheinungen und Zusammenhänge erforschen, die sich auf dieser Ebene objektivieren. Sie besäßen dann eine absolut vollendete zweidimensionale Wissenschaft, die vollkommenste Kenntnis ihres Kosmos. Unabhängig davon könnte eine andere kosmische Ebene mit anderen Erscheinungen und Zusammenhängen existieren, ein anderes parallel verlaufendes Universum; dann existiert kein Mittel, zwischen diesen beiden Welten irgendwelchen Zusammenhang zu konstruieren, oder auch nur zu ahnen. In der nämlichen Lage wie jene Ebenenbewohner befinden wir uns, um eine Dimension erhöht. Es ist möglich, bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, daß wir astronomisch neue Sternwelten entdecken, weit über die Grenze des bisher Erforschten hinaus. Aber keine Entdeckung könnte uns jemals über das zuvor etablierte Kontinuum hinausführen, ebensowenig wie ein Erforscher jener Ebenenwelt seine Ebene entdeckerisch zu durchbrechen vermöchte. Somit muß es bei der Endlichkeit unseres Universums verbleiben, und die Frage nach dessen Jenseits ist nicht weiter erörterungsfähig; denn sie führt nur zu einer gedanklichen Möglichkeit, mit der wissenschaftlich nicht das geringste anzufangen ist. –
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Einstein überließ mich eine Zeitlang dem Tumult der durch ihn entzündeten Gedanken. Nachdem ich den ersten Aufruhr überwunden, suchte ich bei der Vorstellung Halt zu gewinnen, die sich aus der ersten Schattenbetrachtung ergab; wo die Kugelkörper auftraten, die am Rechts-Unendlich oder Fast-Unendlich der geschlossenen Welt hinauswollen und zugleich vom Linkspunkt her wieder hineinwandern. Gibt es hierfür Vorahnungen?In den Büchern der früheren Wissenschaft? Ich wüßte nicht, wo. Doch halt! da fällt mir die Schrift eines Dichters ein. Ich schlage einen Band auf von Heinrich von Kleist, einen Band höchst irdischen Inhalts, ohne den leisesten Anflug von Astronomie. Man denke: die Schrift handelt vom Marionettentheater, – und mitten drin ein Vorklang von Einsteins Universum! Kleist kommt von ungefähr auf den »Durchschnitt zweier Linien, der sich nach dem Durchgang durch das Unendliche plötzlich wieder auf der anderen Seite einfindet, und auf das Bild des Hohlspiegels, das sich ins Unendliche entfernt und plötzlich wieder dicht vor uns tritt«; und er erklärt ganz im Sinne neuester Kosmologie: »das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns, wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht hinten irgendwo wieder offen ist.« –
Vielleicht wird sich auch der Dichter der Zukunft mit diesem Universum beschäftigen, nicht der Lyriker, sondern der Nachfahr eines Hesiod, Lukrez oder Rückert. Und der kleidet dann in Verse, daß in Einsteins Welt auch eine Quelle des Trostes sprudelt, zum Labsal für gequälte Gehirne, die sich an den Kantischen Antinomieen krank gedacht haben. Denn in dieser immer noch reichlich unermeßlichen Welt wird der fatale Begriff Unendlich zum erstenmal mit einem Erträglichkeits-Koeffizienten versehen. Der befreit in gewisser Art von dem gänzlich Unvorstellbaren, in das wir sonst immer wieder hineingetrieben werden, er schlägt eine Brücke zwischen der Thesis Endlich und der Antithesis Unendlich. Wir gelangen an eine Beruhigungsgrenze, wo die beiden Begriffe ineinanderfließen. Davon war allerdings in unserem Gespräch nicht die Rede, denn ich hatte guten Grund, mich vor einer Ausfolgerung des Themas nach dieser Richtung in Acht zu nehmen. Ich
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