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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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oder es ist nicht Primzahl.
    Ist es nicht Primzahl, dann muß es durch irgend eine existierende Primzahl teilbar sein.
    Aber die Primzahlen bis einschließlich n leisten diese Teilung nicht, denn sie lassen stets den Rest 1. Folglich muß Y in diesem Falle teilbar sein durch eine existierende Primzahl X, die größer ist als n. Die Annahme: n ist die größte Primzahl wäre dadurch widerlegt, denn X ist größer als n.
    Für den zweiten Fall: Y ist selbst eine Primzahl folgt ohne weiteres, daß n nicht die größte Primzahl sein kann; denn Y ist ja größer als n. Über jeder noch so groß angenommenen Primzahl steht also immer eine noch größere, und wenn es auch nicht gelingt, sie in Ziffern hinzustellen, so ergibt sich mit Sicherheit:sie muß existieren. Somit hat sich aus der genauen Betrachtung eines Sonderfalls – der als größer vorausgesetzten Primzahlen – ein allgemein gültiger Satz ergeben: die Anzahl der Primzahlen findet keine Grenze. Ist das nicht auch der Triumph einer Intuition?
    Gewiß, sagte Einstein. Nur dürfen Sie nicht übersehen, daß ein derartiger Satz sich im Range durchaus von einem Satz von ursprünglich axiomatischer Prägung unterscheidet. Er ist gefunden, in einem geistreichen Schlußverfahren aufgespürt, aber er trägt nicht das Merkmal einer folgenschweren Entdeckung. Dieser Euklid-Satz kann aus der Wissenschaft fortgedacht werden, ohne daß sich deren Wahrheitsgehalt wesentlich verändern würde. Stellen Sie dagegen einen Satz von axiomatischer Schwere wie den Trägheitssatz des Galilei oder das Gravitationsgesetz. Ein solcher Satz tritt auf mit dem Kennzeichen der Unerschöpflichkeit, als ein Erkenntnisanfang, aus dem sich deduktiv unübersehbare Erkenntnisfolgen erschließen lassen. Wenn Sie vorher fragten, ob ich die deduktive Methode für wertvoller halte, so ist diese Frage übrigens nicht korrekt gestellt. Obenhin könnte ich erwidern, daß mir die induktive Methode als Mittel zur Auffindung allgemeiner Wahrheiten in der Regel überschätzt erscheint. Präzis müßte aber die Frage lauten: welche Wahrheiten sind die übergeordneten: die induktiv gefundenen, oder die für weitere Deduktion ergiebigen? Und da kann wohl die Antwort nicht zweifelhaft sein.
    Nein, ganz gewiß nicht. Wenn ich es recht verstehe, ließe sich die Antwort auch in Form eines Gleichnisses aussprechen: die Intuition höchsten Stils schafft Fundgruben, die geringeren Grades Einzelwerte, Kostbarkeiten, die für sich bedeutsam sind, ohne sich an Mächtigkeit mit der Fundgrube messen zu können. Wenn nun aber die höchste Intuition vornehmlich bei den mathematisch gerichteten Geistern angetroffen wird, so bliebe die Möglichkeit offen, daß der Ausspruch Kants sich in Zukunft mehr und mehr durchsetzen wird. Er hat ja an Wirkung schon gewonnen in Fächern, auf die er zu Lebzeiten Kants noch gar nicht angewandt werden konnte, zum Beispiel in der Psychologie, wo man erst seit Aufstellung des Weber-Fechner-Gesetzes die Beziehungen von Empfindung zu Reiz mathematisch ergründet; ferner seit Quetelet in der Moral und Soziologie, wo der Mensch sogar als handelndes Wesen durch mathematische Methoden der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung der mechanischen Kausalität unterworfen wird. Jedenfalls dürfte man feststellen, daß Kants Ausspruch, in jeder Wissenschaft sei soviel Wahrheitals Mathematik darin enthalten, in der Neuzeit weitere Stützpunkte gewonnen hat.
    Das kann man zugeben, schloß Einstein, ohne dem Wort selbst den axiomatischen Charakter zuzuweisen. Es ist noch immer weit entfernt davon, sichere Deduktion zu ermöglichen, wird sie auch niemals vollkommen verstatten, mag aber als schöne Sentenz neben dem pythagoreischen Spruch von der Zahl als dem Wesen aller Dinge seine Geltung behaupten.
III.
    Man zieht heute immer schärfere Grenzstriche zwischen »Erkennen« und »Kennen«, man weist das »Erkennen« mit Ausschließlichkeit dem hochentwickelten Menschengehirn zu und drückt dadurch das »Kennen«, wie es anderen Lebewesen zu eigen, auf eine niedere Stufe. Sollte hier nicht der Anthropomorphismus besonders am Werke sein und uns zu Ansichten verleiten, die wir sofort aufgeben müßten, wenn wir auch nur auf eine Sekunde aus unserer Haut herauskönnten?
    – Mit dem Anthropomorphismus, meinte Einstein, haben wir uns ein für allemal abzufinden, und es hat keinen Sinn, aus ihm herauszuwollen; denn auch die Betrachtungen über den Anthropomorphismus sind notwendigerweise anthropomorphisch

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