Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Wertgrund aufstellen, der mich veranlaßt, den Höchstgrad des Glücksgefühls vom Kunstwerk zu erwarten. Es ist der ethische Eindruck, die ethische Erhebung, deren ich in unvergleichlichem Maße inne werde, wenn mich das Kunstwerk anstrahlt! Und an diese ethischen Güter dachte ich, wenn ich Dostojewskis Werke voranstellte. Ich brauche da gar nicht literarisch zu analysieren, noch mich auf Aufspürung oder Nachweis psychologischer Feinheiten einzulassen, denn alle Untersuchungen dieser Art dringen nicht bis zum Herzenskern einer Dichtung wie die Karamasoffs. Dieser ist nur mit dem Gefühl zu erfassen, das in Drang und Not Befriedigung findet, das aufjubelt, wenn ihm der Dichter die ethische Genugtuung bietet! Ja, das ist das Wort: » ethische Genugtuung «! ich finde keinen anderen Ausdruck.«
Er leuchtete förmlich, und ich war von Einsteins Anblick tief ergriffen. Es war in diesem Augenblick, als zöge er den letzten Schleier von seiner Seele, um mich teilnehmen zu lassen an seiner Verzückung. War das noch der Physiker, der die Geschehnisse der Welt in Mathematik umgießt, der zwischen Elektronen und Universen seine Gleichungen spannt? Wenn er es war, so sprach aus ihm die andere Seele, die Faustische; »Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, Nenn es dann, wie du willst, Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür, Name ist Schall und Rauch, Gefühl ist Alles!«
Und sicher, es brauchte kein Buch von Dostojewski zu sein, um dies Gefühl in ihm zu entzünden. Er wählte es als Exponenten einer Stimmung, die je nach Lektüre wechseln mag, aber in ihrer sittlichen Grundlage keiner Schwankung unterliegt. Wir erfahren aus anderen Anlässen, wie wenig ihm die Ethik zu sagen hat, wenn sie systematisch betrieben wird, ja daß er sie nicht den Wissenschaften beiordnet. Wir erkennen aber zudem, daß die Ethik in seinem inneren Erleben als die unverdrängbare Dominante auftritt. Seine heiße Kunstliebe ist durch und durch ethisch betont, und sie wird erwidert durch die Kunst, die ihn ethisch beglückt.
IV.
In den Herbsttagen von 1918 fühlte sich Einstein nicht recht wohl, und mußte sich auf ärztliche Verordnung in Lagerruhe pflegen. Ich sah aber beim Eintritt ins Zimmer sogleich, daß die Sache keineswegs bedenklich war; denn er hatte auf der Bettdecke Skripturen, die er mit abgründigen Zeichen vervollständigte, und die sein volles Interesse in Anspruch nahmen. Nichtsdestoweniger respektierte ich in ihm den Patienten, und zeigte die Absicht, mich nach kurzer Erkundigung zurückzuziehen. Allein er wollte meine Anwesenheit durchaus nicht bloß als Krankenvisite gelten lassen, er forderte mich vielmehr auf, eine Weile zu bleiben und mit ihm wie sonst allerhand hübsche Dinge zu erörtern.
Dagegen sprechen zweierlei Rücksichten. Erstlich sind Sie leidend und müssen geschont werden, zweitens störe ich Sie mitten in der Arbeit.
– Wie unlogisch! Wenn ich die Arbeit unterbreche, um mich mit Ihnen zu unterhalten, so beseitige ich doch gerade das, was mir der Arzt allenfalls verbieten würde, wenn ich mir's verbieten ließe. Also legen Sie los. Sie haben gewiß wieder was Kniffliges auf dem Herzen.
Das könnte stimmen. Es betrifft das zweite Keplersche Gesetz. Das hat mir gestern eine schlaflose Nacht verursacht. Mich verfolgte eine Frage, und ich möchte wissen, ob diese Frage überhaupt einen Sinn hat.
– Heraus damit!
Das Gesetz besagt doch, daß jeder Planet, der seine Ellipsenbahn beschreibt, in gleichen Zeiträumen gleiche Sektorflächen zurücklegt. Das ist doch aber ein halbes Gesetz, denn die Leitstrahlen werden doch immer nur nach dem einen Brennpunkt der Ellipse gezogen, nach dem Gravitationspunkt hin. Inzwischen existiert doch aber noch ein zweiter Ellipsen-Brennpunkt, der irgendwo körperlos im Raume liegen mag, vielleicht sehr weit entfernt im Leeren, wenn man die Bahn sehr exzentrisch annimmt. Und nun frage ich: wie müßte dieses Gesetz lauten, wenn die Linien und Flächen auf diesen zweiten Brennpunkt bezogen würden, anstatt ausschließlich auf den ersten.
Die Frage ist nicht unsinnig, aber zwecklos. Man könnte sie analytisch lösen, und sie würde voraussichtlich zu sehr komplizierten Ausdrücken führen, die für die Mechanik des Himmels gänzlich gleichgültig wären. Denn der zweite Brennpunkt istnur eine konstruktive Ergänzung, der nichts Reales im Raume entspricht. – Was weiter?
Das weitere entspringt einer Gedankenspielerei, einem Problem sozusagen, das sich
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