Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
durchsetzt. Sie bewegen sich also in einem Zirkel, wenn Sie vermeinen, irgend etwas außerhalb des menschlichen Erkennens erschließen zu können. Sobald sich der Zirkel schließt, stehen Sie wieder am Ausgangspunkt und sind gezwungen, das empfindungsmäßige, instinktive Kennen von der geistigen Erkenntnis scharf abzusondern, also dem Menschen in dieser Hinsicht die Suprematie zuzuweisen.
Wie nun, wenn sich dagegen ein instinktiver Widerspruch erhöbe? Wenn dieser Widerspruch besagte, daß der logische Zirkel doch nicht ganz kreisförmig verläuft, sondern vielleicht spiralförmig, so daß der Schlußpunkt um eine Idee höher liegt, als der Ausgangspunkt? Ich hätte das Gefühl, daß auch solche zunächst aussichtslose Umwege zu gewissen Einsichten führen könnten. Zum Beispiel, eine gewisse Schlupfwespe trifft ohne jede wissenschaftliche Erkenntnis mit unfehlbarer Sicherheit mit ihrem Legestachel einen bestimmten Punkt in den Ringen einer Raupe; den einzigen, der ihrem Zwecke dient, die Raupe zu lähmen, ohne sie zu töten. Sie handelt instinktmäßig, und es muß mir freistehen, den Vorgang in anderen Worten zu deuten: sie verrät, daß sie die Anatomie des fremden Lebewesens »kennt«, ohne sie nach unserem Maße zu »erkennen«, zu begreifen, zu wissen. Nun ergibt aber der Vergleich ohne weiteres, daß dieses »Kennen« vom Standpunkt der Wespe aus mehr ist, als jedes Erkennen, ich brauche also nur den Betrachtungswinkel zu ändern, um die anatomischen Kenntnisse der Wespe als höher zu erklären, als die analogen des gelehrtesten Anatomen. Auf ähnliche Weise könnte ich dazu gelangen, die Mathematik eines Wandervogels der kartographischen Geometrie jedes menschlichen Pfadsuchers überzuordnen. Der Zugvogel, der aus Innerafrika in grader Linie sein Nest in Mecklenburg wieder findet, muß doch schon in seinem Organismus so etwas wie ein Koordinatensystem besitzen. Im Grunde läuft die Höherstellung unseres »Erkennens« darauf hinaus, daß wir gleicherweise auf unser Hirn wie auf unsere Wissenschaft stolz sind, und hierin könnte vielleicht eine Täuschung auf Gegenseitigkeit liegen, eine Art von Schiebergeschäft, wonach das Gehirn auf die Wissenschaft Wechsel zieht und reziprok die Wissenschaft ihre Verpflichtung mit Schecks auf das Gehirn einlöst.
Ich muß bekennen, daß ich mit diesen gewagten Ausführungen bei Einstein nicht das geringste Entgegenkommen fand, kaum das wohlwollende Lächeln, mit dem er sonst abwegigen Widerspruch begleitet. Ich verhehle mir auch nicht, daß in der Frage Kennen-Erkennen gar kein Platz ist für einen Beweis, für eine Behauptung, höchstens für Vermutungen, die mit Worten umschreiben, was sich der Begreiflichkeit entzieht. Einsteins Ablehnung ist sicher weit fester fundiert, als die Bergsonistisch gefärbten Ansichten, die ich mir erlaubte vorzutragen. Sie besagen, daß ich spitzfindig Dinge mit einander vergleiche, die in unvergleichbaren Ebenen liegen, daß ich die Betrachtungswinkel nicht sowohl rechtmäßig verändere, als mit einer Art sophistischer Volte verschiebe, oder daß ich nach Münchhausens Methode einen Standpunkt oberhalb erreichen möchte, ohne unterhalb einen Stützpunkt zu besitzen. Wie kommt es nun, daß es mir trotzdem nicht gelingen will, von diesen Gedankenwegen gänzlich loszukommen?* Lassen wir das fallen, denn es ist eine rein metaphysische Angelegenheit, und es hat noch nie eine klare, von Unverständlichkeiten und Sophismen freie Metaphysik gegeben.
* Sie finden sich ausführlicher beschrieben in den von mir verfaßten Büchern »Die Welt von der Kehrseite« und »Unglaublichkeiten«.
Bleiben wir vielmehr auf dem Boden des unbedingt menschlichen »Erkennens«, auf dem nach Einstein soviel theoretische Genüsse erwachsen. Ich fragte ihn, ob er in diesen Rangunterschiede gelten lasse, nach der Stärke des Glücksgefühls. Von vornherein war ich überzeugt, daß er bejahen würde, und er bejahte auch wirklich, aber mit einer anderen Unterscheidung, als zu vermuten war. Ja, ich erlebte eine Überraschung, denn er gab dem Thema vom seelischen Glück eine Wendung, nach der bei ihm, dem großen Forscher – man denke! – gar nicht die Wissenschaft als die oberste, herrlichste Glücksspenderin auftrat! – Ich persönlich, bekannte Einstein, empfinde den Höchstgrad des Glücksgefühls bei großen Kunstwerken. Aus ihnen schöpfe ich Geistesgüter beglückender Art von einer solchen Stärke, wie ich sie aus anderen Bereichen nicht zu gewinnen
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