Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
Vom Netzwerk:
Erkennernaturen waren, die auf den Sporn aus der Welt der praktischen Bedürfnisse nicht zu warten brauchten.
    Immerhin, so meinte Einstein, können auch in der abstrakten Forschung die Vorahnungen einer praktischen Zukunft eine Rolle spielen. Als Beweisfeld hierfür nannte er die Bakteriologie. In der Reihe der bedeutenden Bakteriologen, von Spallanzani angefangen bis zu Schwann und Pasteur, befanden sich sicherlich einige, deren Erkenntnisdrang vorwiegend auf rein wissenschaftliche Zusammenhänge gerichtet war. Pasteur selbst ging wesentlich von der theoretischen Frage der Urzeugung aus, also von dem Problem der elternlosen Entstehung organischer Wesen aus unorganischer Materie. Er stand als »Panspermist« auf der Negativseite des Problems, das heißt, er suchte die Unmöglichkeit einer Brücke zwischen Anorganisch und Organisch nachzuweisen. Allein er wußte zweifellos, daß seine theoretischen Arbeiten ihre Fühlfäden ins Praktische ausstreckten, und er mochte wohl voraussehen – ohne den ganzen Umfang des Einflusses zu ermessen –, daß sie für Medizin und Hygiene eine gewaltige Bedeutung erlangen konnten. Man wird also in diesem Fall nicht umhin können, eine gewisse Verkettung zwischen den Bedürfnissen des reinen Erkennens und dem Trieb nach praktischer Ausfolgerung als möglich, zweckdienlich und unmittelbar aus sich selbst gerechtfertigt anzuerkennen.
    Auch der umgekehrte Weg ist möglich, und als wir im Verfolg der Unterhaltung auf die Suche gingen, stießen wir auf eines der interessantesten Beispiele. Es zeigt uns, daß aus der gegenständlichen Praxis heraus eine Frage erfließen kann, die ein ganz unübersehbares Feld reinen Erkennens, ja sogar eine der großartigsten Wissenschaften eröffnet. Da dieses Beispiel in weiten Kreisen unbekannt ist, so erwähne ich es hier um solieber, als sein Träger zu den von Einstein meistgenannten und höchstbewunderten Größen gehört. Es handelt sich um Johannes Kepler. Man staune! Kepler, der sich selbst auf der Höhe des Ruhmes nicht der Frau Sorge zu erwehren wußte, hatte einmal Geld. In seinem Glücksjahr 1615 besaß der große Astronom eine behagliche Häuslichkeit zu Linz und durfte sogar daran denken, sich einige wohlgefüllte Fässer in seinen Keller zu legen; ja noch mehr: er war imstande, ein frischentstandenes wissenschaftliches Werk auf seine Kosten zu drucken und damit als sein eigener Verleger aufzutreten.
    Diese Keplersche Schrift und jene Weinfässer stehen in untrennbarem Zusammenhang, was schon daraus erkennbar, daß sie die Bezeichnung trägt: »Doliometrie«, wörtlich »Faßmessung«. Aber der Titel des Werkes läßt dessen Bedeutung nicht im entferntesten ahnen. Tatsächlich sind diese aus Weinfässern geschöpften Untersuchungen eine Grundlage für eine weltbeherrschende Wissenschaft geworden: für die Infinitesimalrechnung.
    Was wollte Kepler? Etwas durchaus Praktisches, unbedingt Zweckmäßiges, ganz unabhängig von etwaigen »theoretischen Genüssen«, um Einsteins Wort zu wiederholen. Sein Problem stand auf einer Frage der Lebensökonomie, der zweckdienlichen Material-Ersparnis, wie sie den Bedürfnissen eines sorgsamen Hausvaters entspricht: Wie muß ein Faß beschaffen sein, um beim Verbrauch der geringsten Menge von Faßholz den größten räumlichen Inhalt zu bieten?
    Sein Nachdenken begann beim Wein als dem wertvollen körperlichen Inhalt einer Raumfigur und begriff weiter vorschreitend das Faß, die Tonne, als eine besondere Art von »Umdrehungskörpern«, das heißt, von Raumgebilden, die aus der Rotation einer krummen Linie um eine Achse entstanden vorgestellt werden können. Hier wollte er zunächst eine vollständige Übersicht gewinnen. Er variierte die Seitenbretter, die Dauben und entwickelte nacheinander 92 derartige Rotationskörper, von denen einige mit den Namen wesensähnlicher Früchte belegt wurden, so der apfelförmige, der zitronenförmige, der olivenförmige Körper. Von der Weinfaßmessung ging er aus, mit dem Ergebnis, daß sein Werk, die »Doliometrie« zur Quelle aller künftigen Kubaturen gedieh .
    Und nun das Entscheidende: Welche Bedingungen hat die Begrenzung eines solchen faßartigen Umdrehungskörpers zu erfüllen, um diesem die Ausnahmestellung eines »Maximums« zu verschaffen? Hier setzt etwas Epochales ein. Der praktischeHausvater schwingt sich zur sublimsten Höhe der Größenlehre. Kepler fand – natürlich ohne die späteren Fachausdrücke vorwegzunehmen – den Begriff der funktionellen

Weitere Kostenlose Bücher