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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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vermöchte.
    Professor! rief ich aus, Sie bieten mir da eine erstaunliche Offenbarung! Nicht als ob ich jemals an Ihrer Kunstempfänglichkeit gezweifelt hätte. Habe ich doch oft genug wahrgenommen, wie die Klänge guter Musik auf Sie wirken, mit welch intensivem Interesse Sie auch selbst musizieren. Aber selbst in solchen Stunden, wenn Sie sich wie weltentrückt den musischen Einflüssen hingaben, sagte ich mir: das ist in Einsteins Dasein eine wundervolle Arabeske, und ich wäre nie auf die Vermutung gekommen, daß Sie dieses schmückende Beiwerk als den Spender höchsten Lebensglücks erachten. Ihre Eröffnung scheint aber noch weiter zu gehen, vielleicht wesentlich über die Musik hinaus?
    – Im Moment dachte ich vornehmlich an die Dichtkunst.
    »Allgemein gesprochen? Oder schwebte Ihnen soeben ein bestimmter Dichter vor, wenn Sie von der beglückenden Wirkung der Kunstwerke sprachen?«
    – Zunächst allgemein. Wenn Sie aber fragen, wem ich zurzeit das stärkste Interesse entgegen bringe, so kann ich darauf erwidern: »es ist Dostojewski! « Er wiederholte den Namen mehrmals mit gesteigertem Akzente. Und um jeden denkbaren Einwand wie mit einem Keulenhieb niederzuschlagen, ergänzte er: »mir gibt Dostojewski mehr als irgend ein Wissenschaftler, mehr als Gauss! «
    Herr Professor, sagte ich nach einer längeren, für mich subjektiv sehr erklärlichen Pause, wenn Sie zwei so gewaltige, aber doch gänzlich heterogene Namen nebeneinander nennen, so eröffnen Sie damit ein Thema, das nicht durch einen Machtspruch zu erledigen ist. Man kann Dostojewski als Gestalter und Seelenkünderaufs höchste verehren, ohne ihm den Ewigkeitswert zuzuweisen. Aber das hängt von individueller Taxierung ab, und wenn ich meine eigene erwähnen darf, so glaube ich, daß Dostojewski bei aller Gewalt seiner unmittelbaren Kunstwirkung den Jahrhunderten nicht in gleicher Weise standhalten wird, wie mancher andere vom Parnaß. Wesentlicher scheint mir die Erörterung darüber, ob überhaupt ein für Kunst und Forschung gemeinsamer Maßstab gefunden werden kann. Vielleicht darf man das Maß der »Unersetzlichkeit« als das beiderseitig gültige annehmen. Wenn Sie nun sagen: Dostojewski gibt mir mehr als Gauss, so würde dies etwa der Empfindung entsprechen: Ohne Dostojewski würden die ›Karamasoffs‹ nicht existieren, würde mir ein mit nichts vergleichbarer Lebenswert fehlen. Hätte aber der Göttinger Gauss einen seiner Fundamentalsätze der Algebra nicht in die Welt gesetzt, so wäre vermutlich ein anderer Gauss aufgetreten, der es geleistet hätte. Hiernach also erhöht das Gefühl den Wert des Kunstwerks, weil dessen Hervorbringung auf einen einzigen angewiesen war.
    – Das ist aber auch nur bedingungsweise richtig, sagte Einstein, denn das Beste, was Gauss uns gegeben hat, war gleichfalls einzig. Hätte Gauss seine Flächengeometrie nicht geschaffen, auf der Riemann weiter baute, so würde sie ein anderer kaum gefunden haben; und ich zögere sonach nicht mit dem Bekenntnis, daß bis zu einem gewissen Grad das Beglücktsein auch bei der Vertiefung in rein Geometrisches gefunden werden kann.
    Vielleicht könnte man ein anderes Merkmal zur Abwägung heranziehen, schaltete ich ein; nämlich die Dauerhaftigkeit der Gabe dem Empfangenden gegenüber. Ein bedeutendes Tonwerk zum Beispiel nützt sich niemals ab. Man kann den ersten Satz der neunten Symphonie hundertmal hören, und obschon man in jedem Takt genau weiß, wie es weiter geht, so bleibt die Glücksspannung unvermindert; eher könnte man sagen, daß sich die Erwartungsfreudigkeit von Mal zu Mal steigert.
    – Auch dieses Merkmal, sagte Einstein, kann nicht als ausschließliches Reservat des Kunstwerks angesprochen werden. An seiner Existenz ist nicht zu zweifeln, insofern als es jedem hervorragenden Kunstwerk anhaftet. Allein es tritt auch abseits des Kunstbereiches auf bei großen wissenschaftlichen Entwicklungen, denen man sich immer und immer wieder hingibt, ohne daß sich der Eindruck abnützt.
    Begreifen Sie hierunter auch die Eindrücke, die ein Forscher erlebt, wenn er seine eigenen Entwicklungen vor sich im Geist vorüberziehen läßt?
    Selbstverständlich, diese ganz besonders; und wenn die Frage an mich persönlich gerichtet wird, so sage ich ohne Scheu: ich freue mich meiner eigenen Entwickelungen und unterliege keiner Anwandlung des Überdrusses, wenn ich sie mir wiederhole. Somit muß ich schon, um zur Begründung des Anfangs zurückzukehren, einen anderen

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