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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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einen Trip mit Le Dorik machen müßte, nickte sie. »Aha, jetzt sieht die Geschichte schon viel klarer aus.«
    »Wirklich?«
    Sie nickte wieder. »Hallo, Leute, das Abendessen ist … fertig!«
    »Kannst du mir denn nicht sagen …?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du würdest es nicht verstehen. Ich bin viel weiter herumgekommen als du. Es ist einfach so, daß eine ganze Menge ganz verschiedener Leute in letzter Zeit gestorben sind, genau wie Friza gestorben ist. Zwei unten in Lebensdorn. Und ich hab’ noch von drei anderen während des letzten Jahres gehört. Irgendwas wird geschehen müssen. Und es kann genausogut von hier ausgehen.« Sie schob wieder den Deckel von der Pfanne: wieder Dampf.
    Easy und Little Jon, die flußaufwärts gegangen waren, fingen an zu laufen.
    »Heiliger Elvis Presley!« keuchte Little Jon. »Das riecht aber verdammt gut!« Er kauerte sich sabbernd am Feuer nieder.
    Easys Polypen begannen zu rasseln. Wenn eine Katze das tut, dann schnurrt sie.
    Ich wollte noch mehr fragen, aber ich wollte Easy und Little Jon nicht verärgern; ich glaube, ich war nicht nett zu ihnen gewesen, und sie verhielten sich ganz prima in der Beziehung, solange ich nicht daran rührte.
    Ein Palmblatt voll Schinken, Gemüse und gewürzten Früchten ließ mich aufhören, an irgend etwas anderes zu denken als daran, was noch nicht in meinem Bauch war, und ich begriff, daß ein Großteil meiner metaphysischen Melancholie Hunger war. Ist es immer.
    Wieder Gespräche, mehr Essen, wieder Unterhaltung. Wir legten uns gleich dort am Fluß schlafen, streckten uns auf den Farnkräutern aus. Gegen Mitternacht, als es kalt wurde, rollten wir uns alle eng zusammen. Etwa eine Stunde vor Morgengrauen erwachte ich.
    Ich zog den Kopf aus Easys Armbeuge (Nativias kahler Kopf nahm sofort meinen Platz ein) und stand im Sternendunkel auf. Little Jons Kopf schimmerte zu meinen Füßen. Und auch meine Klinge. Er hatte sie sich als Kopfkissen untergelegt. Ich zog sie sacht unter seiner Wange weg. Er schniefte, kratzte sich, lag wieder still. Ich machte mich durch die Bäume in Richtung Käfig auf.
    Einmal blickte ich in die Zweige hinauf, zu den Drähten, die vom Transformator zum Zaun führten. Die schwarzen Linien über mir oder das Geräusch des Flusses oder Erinnerung packte mich. Auf halbem Weg begann ich zu spielen. Jemand begann mich pfeifend zu begleiten. Ich blieb stehen. Das Pfeifen hörte nicht auf.

 
4.
     
    Wo ist er denn? In einem Lied?
    Jean Genet / Les Paravents
     
    Gott sagte zu Abraham: Schlachte mir ein Kind! Abe sagte: Du lieber Gott, der spinnt.
    Bob Dylan / Highway 61 Revisited
     
    Liebe ist etwas, das stirbt, und wenn es tot ist, verwest es und wird zu Humus für eine neue Liebe … Und so gibt es in Wirklichkeit keinen Tod in der Liebe.
    Pär Lagerkvist / Dvärgen
     
    »Le Dorik?« sagte ich. »Dorik?«
    »Hallo«, kam die Antwort aus der Dunkelheit. »Lobey?«
    »Lo Lobey«, sagte ich. »Wo bist du?«
    »Hier im Käfig.«
    »Aha. Was riecht hier so?«
    »Whitey«, antwortete Dorik. »Easys Bruder. Er ist gestorben. Ich grabe ein Grab. Erinnerst du dich an Easys Bruder?«
    »Ich erinnere mich«, sagte ich. »Ich habe ihn gestern am Zaun gesehen. Er sah ziemlich krank aus.«
    »Diese Art hält sich nie lange. Komm ’rein und hilf mir graben.«
    »Der Zaun …«
    »Ich gehe nicht gern in den Käfig«, sagte ich.
    »Ist abgeschaltet. Kletter ’rüber.«
    »Es hat dir nie was ausgemacht, dich hier ’reinzuschleichen, als wir Kinder waren. Komm schon, ich muß diesen Felsblock wegwälzen. Pack mal mit an.«
    »Damals waren wir noch Kinder«, sagte ich. »Als wir noch Kinder waren, haben wir viele Sachen gemacht, die wir jetzt nicht tun müssen. Es ist dein Job. Also grab allein.«
    »Friza ist oft hierher gekommen und hat mir geholfen, sie hat mir alles über dich erzählt.«
    »Friza ist oft …« Dann sagte ich: »Erzählt?«
    »Nun, einige von uns konnten sie verstehen.«
    »Ja«, sagte ich. »Einige konnten das.«
    Ich packte den Maschendraht neben einem Pfahl, aber ich kletterte noch nicht hinauf.
    »Eigentlich«, sagte Dorik, »war ich immer irgendwie traurig, daß du nie vorbeigekommen bist. Wir hatten immer ziemlich viel Spaß. Ich bin froh, daß Friza nicht so dachte wie du. Wir haben …«
    »… eine Menge Sachen gemacht, Dorik. Ja, ich weiß schon. Schau mal, keiner hat sich die Mühe genommen, mir zu erklären, daß du kein Mädchen bist, bis ich vierzehn war, Dorik. Wenn ich dir damit weh tue, dann

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