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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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verstand, über meine Verwirrung.
    »Du bist ein guter Jäger, Lo Lobey«, sagte Lo Hawk schließlich, »und obwohl dein Untergestell ein bißchen überbreit ist, bist du doch ein Prachtkerl von einem Mann. Viele Gefahren stehen dir bevor; ich habe dich vieles gelehrt. Erinnere dich daran, wenn du am Rande der Nacht oder an der Kante des Morgens wanderst.« Offenbar hatte ihn Le Doriks Tod davon überzeugt, daß an La Dires Vermutungen doch etwas dran war. Allerdings verstand ich beide Fronten ihres Streits nicht, noch die Brücke zwischen ihnen. Sie klärten mich nicht auf. »Benütze, was ich dir beigebracht habe, um dorthin zu gelangen, wohin du jetzt gehen wirst«, fuhr Lo Hawk fort, »um deinen Aufenthalt zu überleben und die Rückkehr zu bewältigen.«
    »Du bist anders.« Das waren La Dires Worte. »Und du hast gesehen, daß es gefährlich ist, so zu sein. Aber es ist auch sehr wichtig. Ich habe versucht, dir ein Weltbild mitzugeben, das umfassend genug ist, die Taten, die noch vor dir liegen, ebenso einzuschließen wie ihre Bedeutung. Du hast viel gelernt, Lo Lobey. Benütze auch, was ich dich gelehrt habe.«
    Ohne klare Vorstellung, wohin ich gehen würde, wendete ich mich um und schwankte davon. Doriks Tod vor Sonnenaufgang bestürzte mich immer noch.
    Offenbar waren die Bloi-Drillinge die ganze Nacht wach gewesen und hatten nach Blindkrebsen in der Mündung des Quellenhöhlenflusses gefischt. Sie waren noch in der Dunkelheit zurückgekehrt, hatten ihre Handstrahler geschwungen und Witze gemacht, als sie vom Fluß heraufkamen: Dorik hinter dem Zaun in einem Netz von Schatten, eingekreist von ihren Lampen, das Gesicht auf dem Boden, am Rand des Grabes! Es muß kurz nach meinem Weggehen gewesen sein.
    Ich schob mich durch das Gestrüpp, auf Mittag zu, ein Gedanke nahm immer deutlicher Gestalt an, wie Figuren auf dem Flußgrund deutlich werden, wenn du die Schaumblasen einen Moment lang beiseite schiebst: Wenn Le Dorik als Toter eine Zeitlang mit mir gegangen war (»Ich bin gerade dabei, es dir zu zeigen, Lobey.«), durch Dämmerung und Stechginster gegangen war, sich auf einem Felsen unter der neuen Sonne zusammengerollt hatte, dann, dann konnte auch Friza mit mir gehen. Wenn ich das finden könnte, was die von uns tötete, die anders waren, aber deren Besonderheit uns eine Wirklichkeit über das Sterben hinaus verlieh …
    Eine langsame Melodie nun auf meiner Klinge, um Dorik zu beklagen; und das Klatschen meiner Füße auf der Erde, wandernd. Nach einigen Stunden solcher Trauer hatte die Hitze mich mit Schweiß abgeschliffen wie damals in einem ganz bestimmten Trauertanz.
    Während der Tag sich über die Hügel beugte, kam ich an den ersten roten Blumen vorbei, Blüten, so groß wie mein Gesicht, wie Blutblasen, hatten sich in Dornen eingenistet, manchmal auf dem blanken Fels. Nicht gut, hier stehenzubleiben. Fleischfressend.
    Im gelblicher werdenden Nachmittag hockte ich mich auf einer Granitbank nieder. Eine Schnecke von der Größe meines gekrümmten Zeigefingers stülpte die Augen nach einer Pfütze von der Größe meiner Handfläche aus. Eine halbe Stunde später – ich kletterte die Steilwand eines Cañons hinunter, Gelb war unter Violett gestorben – entdeckte ich einen Riß im Fels: schon wieder ein Zugang zur Quellenhöhle. Ich beschloß, hier zu übernachten, und tauchte hinein.
    Immer noch der Geruch nach Menschen und Tod. Und das ist gut. Gefährliche Tiere vermeiden das. Ich pirschte mich langsam hinein, tippelte auf allen vieren. Lose Erde wurde zu Moos, wurde zu Zement unter mir. Draußen ging die Nacht, das Lautgewebe von Zikaden und Wimmerwespen, das ich auf meiner Klinge nicht hervorbringen konnte, in tiefe Schwärze über.
    Kurz darauf berührte ich eine Metallschiene, wendete mich um und folgte ihr mit den Händen … über eine Stelle, auf die Erde gefallen war, über verstreute Zweige und Blätter, dann einen langen Hang hinunter. Ich wollte gerade anhalten, mich an der Höhlenwand zusammenrollen, dort, wo es trocken war, und schlafen, als die Schiene sich gabelte.
    Ich erhob mich.
    Als ich schrill auf meiner Klinge pfiff, ertönte ein langes Echo von rechts: endlose Gänge dort drüben. Aber von links kam nur eine stumpfe Resonanz: offenbar eine Kammer. Ich ging nach links. Meine Hüfte streifte einen Türpfosten.
    Dann glomm plötzlich vor mir ein Raum auf. Die Sensorstromkreise waren noch aktiv. Gitterwände, blauer Glastisch, Messinglampen, Schränke und ein Fernsehapparat in

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