Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
ratlos um, von überall her treffen ihn ruhige auffordernde Blicke. Seine Verlegenheit macht ihn beweglich, er windet sich, wirft den Kopf hin und her, greift in die Luft. Es geht nicht, sagt Erich niedergeschlagen, ich kann es nicht; denn wonach soll ich forschen? Der Oberbefehlshaber nickt, er kann diese erhebliche Verlegenheit einsehen, und er entscheidet: die Vernehmung soll der Umgruppierung der Streitkräfte im westlichen Bergland gelten. Erich tritt einen Schritt zurück, einen Schritt, der Ratlosigkeit und Weigerung ausdrücken soll, worauf der Stabschef die Worte des Oberbefehlshabers langsam wiederholt. Fangt endlich an, sagt der Adjutant; der Zivilist sagt nichts.
Auf einmal blickt Erich den Oberbefehlshaber an, lange, viel zu lange, wie mir scheint, sie prüfen, sie erkunden einander mit Blicken, und dann gibt Erich mir einen Wink, und ich weiß, was der Wink bedeutet: ich biete dem Oberbefehlshaber eine Zigarette an und gebe ihm Feuer. Der Oberbefehlshaber lächelt nicht, er raucht hastig, als ob er Zigaretten lange entbehrt hätte. Erich bittet den Oberbefehlshaber gehorsamst, sich auf einen ganz gewöhnlichen Stuhl setzen zu wollen, dieser Aufforderung wird nicht entsprochen, weil sie nicht glaubhaft klingt, und Erich muß die Aufforderung wiederholen, schlichter, nachdrücklicher. Er sagt einfach: Setzen Sie sich hier hin. Der Stabschef möchte wissen, ob Erich bei den Vernehmungen die Gefangenen duzt oder siezt, er duzt sie selbstverständlich, er sagt: Wenn man sich so nahe ist, bleibt es nicht aus, daß man aufs Du kommt. Dann machen Sie's doch wie gewöhnlich, sagt der Stabschef; doch Erich schüttelt bekümmert den Kopf und gibt mir einen zweiten Wink, worauf ich, ganz gewohnheitsgemäß, dem Oberbefehlshaber die angerauchte Zigarette fortnehme. Das gefällt dem Adjutanten. Der Adjutant zeigt sich belustigt, er tippt dem Zivilisten auf den Unterarm. Erich überlegt, langsam zieht er den Kopf in die Schultern ein, er überlegt sorgfältig, und dann lacht er auf, reißt mit verzerrtem Gesicht seine Arme hoch und laßt sie kraftlos herabfallen: Erich, die reine Hilflosigkeit.
Da erhebt sich der Oberbefehlshaber von dem Stuhl, den Erich ihm angewiesen hat, sagt nichts, fordert und befiehlt nichts, sondern steht nur, der Oberbefehlshaber, klein und ausgezehrt da und zwingt Erich stumm in den Blick seiner tiefliegenden Augen, und auf einmal ruft Erich vermutlich zu seiner eigenen Überraschung: Setzen, setz dich hin! Der Oberbefehlshaber setzt sich. Er schlägt die kurzen Beine übereinander. Er weist ein Cognacglas zurück, das ihm von der Seite seines Burschen her zuschwebt, und sieht gefaßt Erich entgegen, der sich ihm geduckt, vielleicht sogar bedeutungsvoll nähert. Also wollen wir uns mal unterhalten, sagt Erich und tritt hinter den Oberbefehlshaber mit verschränkten Armen. Der Zivilist zieht ein Notizbuch aus der Tasche, hebt einen Bleistift und rückt ein wenig vom Adjutanten ab, der sich immer noch belustigt zeigt, der hier wohl erleben möchte, was Chaplin mit seinem Spazierstock vollbringt. Ich sehe nur auf Erich, der mir jetzt zunickt, der mir durch sein Nicken befiehlt, dicht vor den Oberbefehlshaber hinzutreten: das ist mein Platz. Ich und der Oberbefehlshaber schweigen uns an. Erich stellt von hinten die Fragen. Doch zuerst äußert er sich allgemein, er stellt fest: Für Sie ist jetzt alles vorbei, mein Junge, der Kampf, die Angst, der ganze Mist - alles vorbei. Sie leben, sagt Erich, und dafür sollte man dankbar sein. Uns, mein Junge, kannst du deine Dankbarkeit beweisen, indem du uns sagst, was du weißt.
Ich beobachte forschend den Oberbefehlshaber, er hält die Augen geschlossen, er ist eingeschlafen, nein, er lauscht nur mit geschlossenen Augen, während Erich, tief über ihn gebeugt, kameradschaftlich rät: Erleichtern Sie sich, erzähl uns, was du von den Umgruppierungen weißt, mein Junge, dort im Westen, im Bergland, wo wir dich erwischten. Sie selbst wurden doch einem neuen Regiment zugeteilt. Welche Nummer hat dieses Regiment? Der Oberbefehlshaber schweigt. So geht es allen, sagt
Erich, vor lauter Freude verlieren sie am Anfang immer das Gedächtnis, aber wir werden es wiederfinden, wir haben es oft wiedergefunden. Man muß sich nur konzentrieren.
Erich gibt mir einen Wink, ich bitte den Oberbefehlshaber, sich zu erheben. Ich geleite ihn zur Wippe hinüber. Ich bitte ihn, in der Wippe Platz zu nehmen, was er wortlos tut. Im Hintergrund, am Fenster,
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