Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
er ist uns nur aus Zeitungen und Wochenschauen bekannt, allerdings so gut, daß wir ihn mühelos wiedererkennen können. Sein Stabschef nickt bedenklich. Er gibt uns bekannt, daß der Oberbefehlshaber in besonderer Angelegenheit erscheinen werde: zu Hause, also ziemlich weit weg, sagt der Stabschef, habe man sich erregt über die Mittel, die bei der Vernehmung von Gefangenen angewendet werden. Es herrscht dort hinten sogar Empörung, sagt der Stabschef. Es werden, sagt der Stabschef, Unterschriften gesammelt, mit denen gegen die Methoden der Gefangenenvernehmung demnächst protestiert werden wird. Der Stabschef schweigt einen Augenblick, sein Schweigen enthält keinen Vorwurf, er betrachtet von nahe seinen Handrücken. Dann spricht er leise auf seinen Handrücken hinab. Er sagt: Der Oberbefehlshaber will alle Kritiker zu Hause selbst widerlegen, er will sie persönlich ins Unrecht setzen. Zum Beweis, daß die Mittel, die bei der Gefangenenvernehmung angewandt werden, erträglich und zumutbar sind, wird er hier erscheinen und, so sagt der Stabschef, diese Mittel an sich selbst ausprobieren lassen. Der Oberbefehlshaber will sich zur Probe unter normalen Bedingungen vernehmen lassen und damit allen beweisen, daß die Vernehmungen erforderlich und zu erdulden sind. Es soll so etwas wie ein Beispiel werden, sagt der Stabschef, ein humanes Experiment. Nachdenklich geht er zur Wippe, hebt die Cognacflasche hoch, liest das Etikett und hat gegen die Marke nichts einzuwenden. Er gibt Erich den Befehl, Schaufel und Besen wegzuräumen. Er streichelt die Wolldecken, die der Bursche hereingebracht hat. Es interessiert ihn nicht, ob wir auch etwas zum Plan des Oberbefehlshabers zu sagen haben. Während Erich Besen und Schaufel in ein Spind schließt, kann man schwarze Schweißflecken unter seinen Achseln bemerken, und es fällt auf, daß seine Hände zittern. Erich leckt wiederholt über seinen Daumen, wie immer, wenn er erregt ist, er poliert den Daumen an der Hüfte. Erichs schwerer, würfelförmiger Kopf beginnt in langsamem Rhythmus zu nicken. Plötzlich reißt der Bursche die Tür auf, er muß den Schritt seines Herrn früher hören können als andere. Starr steht er da und hält die Tür auf; auch wir stehen starr da, der Stabschef salutiert. Der Oberbefehlshaber geht, wie man ihn in der Wochenschau hat gehen sehen, er gleicht den Photographien, die die Zeitungen täglich von ihm veröffentlichen. Müde kommt er herein, lustlos, ein kleiner, ausgezehrter Mann, sein Gesicht ist fleckig, die dunklen Augen liegen tief. Mit seinen Niederlagen hat er sich die Sympathien der Opposition erworben, durch seine Siege hat er schon zu Lebzeiten das Lesebuch erreicht. Wie eng sein Brustkasten ist! Die Schultern sind schmal, der Hals sehnig, unter dem Uniformhemd kann man die Nackenwirbel erkennen. Zerstreut hebt er eine kleine trockene Hand grüßend an die Mütze. Er geht quer durch das Vernehmungszimmer, wendet sich ruckhaft um, blickt gleichgültig auf seinen Adjutanten und einen Mann in Zivil, die ihm gefolgt sind. Der Oberbefehlshaber ist nur mit Khakihemd und Tuchhose bekleidet, er trägt leichte Stoffschuhe und einen einzigen, ins Gelbliche spielenden Orden. Er nimmt die Mütze ab. Er schließt die Augen; dann wendet er sich an Erich und möchte von ihm wissen, ob er unterrichtet und bereit ist.
Erich lächelt gequält, er weiß etwas und weiß nichts, er hat da etwas gehört, was er nicht glauben kann, denn das, was man von ihm verlangt, könnte man vielleicht von andern verlangen, und so weiter. Erich erklärt, daß er der Aufgabe nicht gewachsen ist. Erich gibt sich Mühe, hilflos zu erscheinen, überfordert, ungeeignet. Erich bekennt, daß er nicht der Mann sei, um eine Probe-Vernehmung durchzuführen, noch dazu bei seinem eigenen Oberbefehlshaber. Er sehe den Grund ein, sagt Erich, das schon, aber in diesem Falle bringe er auch nicht mehr fertig.
Der Oberbefehlshaber läßt sich von seinem Burschen ein Cognacglas füllen, trinkt, öffnet sein Hemd über der Brust und steht schweigend und erwartungsvoll da. Erich poliert seinen Daumen an der Hüfte. Der Adjutant, der Stabschef und der Zivilist treten ans Fenster, lehnen sich an und sind Publikum. Ich habe den Eindruck, daß alle Erfahrungen, die Erich mir voraus hat, unnütz geworden sind. Der Oberbefehlshaber steht nur stumm da, nein, das trifft nicht zu - einmal sagt er etwas, er sagt zu sich selbst: Ich brauche den Beweis, also fangen wir an. Erich sieht sich
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