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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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einzige Vergnügungsviertel, das, so scheint mir, bei Tageslicht mehr preisgibt als bei Nacht... Deinen großen, bebilderten Bericht, Eugen, habe ich übrigens noch im Gedächtnis... Was Soho heißt? Es war wohl der Kampfruf eines Raubritters, der diese Gegend einmal für sich beanspruchte... In Soho erkennt man nämlich am Tag - und nur am Tag -, mit welcher Bereitwilligkeit dieses England ganze Flüchtlingsgenerationen aus aller Welt aufgenommen hat. Und gleichzeitig erfährt man die feine Abschätzigkeit, mit der ein Ausländer bedacht wird... Das da vorn ist ein Delikatessengeschäft, daneben eine marokkanische Kneipe, und wiederum daneben eins der teuersten Restaurants der Stadt - »Christopher Colombo«. Über dem Delikatessengeschäft - die Schilder im Hausflur sind leider nicht zu sehen - kannst du nicht nur holländischen und französischen, sondern auch persischen und algerischen Privatunterricht nehmen... Wenn ich mich recht erinnere, Eugen, hast du damals ziemlich kritisch über Soho geschrieben... Zigaretten liegen auf dem Hocker, gleich neben dir... Ironisch gerichtet hast du Soho - vielleicht ohne zu wissen, daß es hier, in diesem Delikatessenladen, die beste deutsche Leberwurst zu kaufen gab, besser noch als in Hamburg... Cynthia, meine erste Frau, war so begeistert, daß sie mich einmal bat, einen ganzen Kringel mitzubringen; scheibchenweise verteilte sie ihn an ihre Schützlinge als Belohnung... Sie war Kindergärtnerin, ja... Und auch heute - trotz allem, was geschehen ist —, wenn sie heute in der Nähe zu tun hat, vergißt sie nie, sich in diesem Laden ein Stück Leberwurst zu holen... Stell dir vor, sagte sie einmal zu mir, wenn ihr euch nur auf solche friedlichen Spezialitäten konzentriert hättet...
      Und hier, Eugen weiß natürlich sofort, wer hinter diesem Bretterzaun seine geladene Armbrust in Richtung Soho hebt: Eros selbstverständlich, sein Standbild ist das Wahrzeichen von Piccadilly Circus... Ich bin froh, daß ich euch den Anblick ersparen kann - das Denkmal ist von erlesener Scheußlichkeit, hingegen verdient der Bretterzaun jede Aufmerksamkeit... Nein, das Denkmal wird nicht gerade restauriert; die Bretter stellen eine vielsagende Schutzmaßnahme dar... Wogegen? Gegen nationale Begeisterung, gegen Freude, die sich gewaltsam äußern muß... So ist das hier: wenn zum Beispiel die Nationalmannschaft ein begeisterndes Fußballspiel liefert, gerät die Nation aus dem Häuschen und Eros in Gefahr; darum muß der Knabe geschützt werden, vorsorglich... Frag die Psychologen, warum Eros hier büßen muß, sobald ein Anlaß zu nationaler Begeisterung besteht... Geradeaus, Eugen, und dann die letzte Tür links; ich hab das Licht im Bad brennen lassen... Dort übrigens, in dieser Imbiß-Scheune - es gibt hier etliche davon - haben Cynthia und ich nach der Trauung gegessen, zusammen mit unseren Trauzeugen: Charles Sullivan, meinem Wirt, und Ida Ehrlichmann, die sich ausnahmsweise selbst zwei Stunden freigegeben hatte... Warum? Weil sie beinahe zweihundert Kunden hatte, denen sie nichts anderes als ihre Zeit und Teilnahme anbot - ältere, alleinstehende Menschen zumeist, die sie einmal in vierzehn Tagen besuchte, und die noch dringender auf sie warteten als auf den Milchmann... Unser Komitee, sie hatte in unserem Komitee freiwillig diese Aufgabe übernommen, eine magere, dunkelhäutige Frau, die sich, wie ich erfuhr, heimlichen Exerzitien unterwarf mit dem Ziel, in ihrer Anteilnahme nicht zu ermüden und das Erfahrene als verpflichtenden Besitz zu behandeln... Cynthias Familie? Das kann ich dir sagen, Thea: Cynthias Vater war Kapitän auf einem Fischdampfer, ein wohlhabender Mann. Als er erfuhr, wen Cynthia zu heiraten beabsichtigte, schickte er ihr ein Beileidstelegramm, für das er sich allerdings während des Krieges entschuldigte... Gut, daß du wieder da bist, Eugen, wir wollen uns gerade ein neues Bild zu Gemüte führen... Und den Namen von Ida Ehrlichmann hast du wirklich noch nie gehört? Ja, du sagtest es bereits.
      Dies Bild hat Eva gemacht, es muß der St. James Park sein - nein, es ist wieder der Hyde Park... Eigentlich müßtest du erzählen, Eva, was dich hier so reizte... Eben, es sind nicht nur die Uniformen dieser englischen Nannies, es sind die drei ungetümen Kinderwagen, die die strengen Kindermädchen zu einer Art Wagenburg zusammengeschoben haben... Und wenn ihr genauer hinseht, entdeckt ihr an jedem dieser Wagen eine kleine, goldene Krone, was soviel heißt,

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