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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Dürftigkeit der Mittel, mit denen er sich von den Mächtigen zu Hause zu distanzieren versuchte...
      Eben, Eugen: Schreiben auf des Messers Schneide, das war es damals... Nimm ruhig aus der neuen Flasche... Und du, Thea, du mußt unbedingt die Schinkenspieße probieren, und die gefüllten Oliven natürlich... Etwas weiter unten am Hyde Park kannst du übrigens Bilder kaufen, selbstverständlich nur an trockenen Tagen, Sonntagsmaler... War dein Büro nicht irgendwo in der Nähe? In der Shaftesbury Avenue? Ach richtig, das hast du mal erzählt.
      Und hier - nein, dieser Vogel steht auf dem Kopf -, hier habt ihr einen der Original-Tower-Raben: Eva wagte nicht, ihm längere Zeit ins unbewimperte Auge zu sehen; Cynthia, meine erste Frau, mochte ihn nicht nur, es war ihr Lieblingsvogel - und zwar nicht allein, weil er klug und beredsam ist, sondern weil er etwas vorführt: daß nämlich jeder Versuch, durch Würde zu beeindrucken, ins Lächerliche gerät... Natürlich wollte Cynthia wissen, was ich jetzt treibe, und ich erzählte ihr von deiner Agentur, Eugen - sie kannte sie seltsamerweise nicht - und daß du mich beteiligt hast... Jedenfalls, ein durch und durch literarischer Vogel.
      Warum wir dieses Bild gemacht haben - weißt du's noch, Eva?... Wie ihr seht, es ist die rote, bestickte Tracht eines Fremdenführers im Tower... Die blaue Knollennase, das fleischige Gesicht: vermutlich gehören sie einem ehemaligen Feldwebel, der die Geschichte zum Rapport befiehlt und ihr beweist, daß sie keinen Gesetzen folgt, sondern nur dunkler Gewalt und romanhafter Machenschaft... Wie der redet, gestikuliert, demonstriert: da gewinnt Geschichte auf einmal eine schlimme Glaubwürdigkeit - was schon dadurch bewiesen wird, daß man sich vor ihren Richtstätten in Gelächter rettet... Ich weiß nicht, es muß wohl auch an den Kostümen liegen, daß man auf einmal das Gefühl hat, alles hat sich wirklich ereignet, ich muß mich darum kümmern... Nein, Thea, ich brauche jetzt einen soliden Schnaps - aber bedien dich ruhig und schenk auch Eugen nach... Ihr könnt euch vorstellen, welch ein Aufsehen entstehen mußte, als eines Tages ein unbekannter Fremdenführer im Tower auftauchte, ein zarter, dunkeläugiger Mann, der Englisch mit bayerischem Akzent sprach... In der Uniform der »Yeoman Warders« zog er sogleich die Besucher auf sich und sprach mit leidenschaftlicher Ergriffenheit - weniger über die dunkle Romanhaftigkeit der Geschichte... Er demonstrierte ihr unheilvolles Gesetz: wenn in einer bestimmten Lage die bestimmten Bedingungen zusammentreffen, dann entsteht mit Notwendigkeit dieses voraussagbare Resultat... Er sprach im Tower über die Lage in Deutschland... Die hiesige Geschichte nahm er zum Anlaß, um auf die jüngsten Exzesse in seiner Heimat hinzuweisen... Heimsohn...
      Michael Heimsohn, ein brillanter Historiker, der als Emigrant in unserem Archiv arbeitete, neben mir... Natürlich Thea, kann ich dir sagen, warum er es tat: er wollte die Aufmerksamkeit verschärfen und glaubwürdig klingen... Was er in gelegentlichen Vorträgen nicht erreichte - als Fremdenführer im Tower gelang es ihm; freilich nur so lange, bis man seine List entdeckte... Entschuldige, Thea, aber ich verstehe nicht, warum du dich so erregst... Wir sehen uns doch nur einige Dias an... Aber ich bitte dich: wie kannst du sagen, daß hier jemand unwillkürlich angeklagt werden soll... Es gab eben zwei Seiten; Eugens Schicksal bestand darin, auf der einen Seite zu stehn, und meins, auf der andern Seite... Schicksal ist schon zuviel: Leute wie wir haben kein Schicksal, allenfalls Lebensläufe, und die zwingen uns mitunter auf verschiedene Sitzplätze... Aber weshalb denn? Weshalb fühlst du dich schon gereizt, wenn ich so etwas feststelle?... Nun mußt du aber eingreifen, Eugen, mit dem klärenden Wort, das wir von dir gewöhnt sind... Du mußt Thea recht geben? Ja, verdammt nochmal, woran liegt denn das? Ihr braucht euch doch nicht zu verteidigen: selbstverständlich weiß ich, was es bedeutete, zuhause zu bleiben, unter den Luftangriffen zu leben, mit Ersatzstoffen, oder gar eingezogen zu werden, und dann, wie du, Eugen, einen Arm zu verlieren... Ich führe euch doch nur Bilder vor von einer Reise, die Eva und ich in diesem Herbst gemacht haben... Mittlerweile muß doch jeder ein erträgliches Verhältnis zu seiner Vergangenheit gefunden haben... Das ist eine gute Idee, Eva...
      Ein neues Bild, und was ihr seht, ist Soho bei Tag - das

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