Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
nach ihrem Handgelenk. Sie sitzen schweigend nebeneinander, und als sie über die Brücke fahren, legt er einen Arm um ihre Schultern und zieht sie zu sich herüber, während der Fahrer aus sonderbarer Gekränktheit oder aus Abneigung gegen den neuen Fahrgast nicht nur sein Mitteilungsbedürfnis unterdrückt, sondern auch darauf verzichtet, in den Rückspiegel zu blicken. Sanfter Regen schwärzt das Kopfsteinpflaster, der Fahrer schaltet die Lichter an. Er hört die Fahrgäste auf dem Rücksitz flüstern, und unvermutet sagt die Frau: Bitte, ist es möglich, daß wir noch einmal zurückfahren? In die Laubenkolonie, fragt der Fahrer. In den Huflattichweg, ja, ich habe dort nur etwas vergessen. Mir ist es egal, sagt der Fahrer. Er biegt in eine Nebenstraße ab, kontrolliert die Zähluhr und fährt mit zunehmender Geschwindigkeit auf eine Ampel zu, die immer noch Grün zeigt und erst auf Gelb umspringt, als sie die Linie passiert haben. Es war Grün; dennoch rammt sie der andere Wagen auf Belindas Seite, reißt den hinteren Kotflügel ab und drückt die Taxe, die sich einmal um ihre Achse dreht, gegen einen Lichtmast. Nicht Thomas, aber dem Fahrer gelingt es, die Tür von außen zu Öffnen, er zieht sie heraus, mustert sie: Alles in Ordnung? Er sieht, daß Belinda über dem Jochbein blutet, und während der Fahrer des anderen Wagens schulmäßig fuchtelnd und drohend herankommt, öffnet der Taxifahrer ruhig seinen Verbandskasten und reicht der Frau ein Pflaster, das der Bursche ihr aufklebt. Schnell, sagt die Frau zu Thomas, bring mich weg hier. Weg, bevor die Polizei kommt. Er braucht uns aber als Zeugen, flüstert der Bursche. Ich kann nicht, sagt sie, du mußt mich hier wegbringen. Sie späht über die Straße, setzt zur Flucht an, da tritt der Taxichauffeur zu ihnen, hat schon ein Notizbuch in der Hand, fragt schon: Sie können doch auch bestätigen, daß wir Grün hatten? Der behauptet steif und fest, daß er erst bei Grün angefahren ist. Wir hatten Grün, sagt der Bursche entschieden, und das werden wir jederzeit bezeugen. Ich danke Ihnen, sagt der Taxifahrer, und reicht Thomas sein Notizbuch und bittet ihn, Namen und Adresse hineinzuschreiben. Muß ich auch, fragt Belinda, und als der Taxichauffeur sie mit einer Geste darum bittet, schreibt sie einen Namen und eine Adresse hinein, und reicht das Notizbuch zugeklappt zurück. Aber jetzt müssen wir doch wohl nicht hierbleiben, fragt die Frau, und der Bursche bekräftigt: Wir haben es nämlich sehr eilig. Und bei diesen Worten drückt er dem Fahrer einen Geldschein in die Hand, den er aus der Handtasche der Frau genommen hat.
Die heftiger werdende Auseinandersetzung der beiden Fahrer ausnutzend, überqueren sie eilig die Straße, laufen durch einen Torweg, gelangen auf die Theaterstraße, die zum Hauptbahnhof führt. Sie kreuzen auch diese Straße, nicht in gemeinsamem Beschluß, sondern, weil die Frau es einfach tun zu müssen glaubt und der Bursche ihr einfach folgt, doch dann, vor einer Kellerkneipe, angesichts eines erleuchteten Aquariums im ebenerdigen Fenster, bleibt die Frau plötzlich stehen und läßt ihren Oberkörper gegen den Burschen kippen. Was ist los, fragt er, was hast du, Belinda? Er wird mich ja wiederfinden, sagt sie, mein Gott, er wird zu uns nach Hause kommen. Wer, fragt Thomas. Der Taxichauffeur, sagt sie. Ich habe einen anderen Namen in sein Notizbuch geschrieben, eine andere Adresse. Aber das nützt nichts: Er hat mich doch von zu Hause abgeholt. Du hast einen falschen Namen angegeben, fragt der Bursche, und Belinda: Mein Gott, ist mir übel. Laß uns hier reingehn, Thomas, nur einen Augenblick. Laß uns etwas trinken. Mein Gott, ist mir übel.
Gregor hob sein Glas, deutete zu dem Paar in der Ecke hinüber, bedauernd, geradeso, als seien die beiden schuld daran, daß ihm keine andere Geschichte zu ihnen einfallen konnte. Sieh sie dir an, mein Alter, sagte er zu mir: Die Achtlosigkeit des Burschen - offenbar hat er den Spielautomaten gewechselt - und die stumpfe Verzweiflung der Frau - sie hat es wohl aufgegeben, einen Ausweg zu finden -, alles sagt mir, daß hier keine außerordentliche Geschichte zu erwarten ist. Was wir annehmen dürfen: ehrbare Banalität - wobei ich euch sagen möchte, daß ich sehr viel Respekt vor der Banalität habe. Dieter Klimke schüttelte lächelnd den Kopf, ich konnte es ihm ansehen, daß er längst andere Beziehungen und Motive entdeckt hatte, doch er verzichtete darauf, Gregor zu antworten. Als der
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