Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
vorgegebenem Erstaunen, und Karen darauf: Stell ihn weg und hör endlich auf, dich an ihm zu reiben. Nach elf Jahren solltest du ihn in Frieden lassen. Ich hab doch wohl das Recht, ihn auch nach elf Jahren noch zu bewundern, sagt Hebbi, für mich war er wirklich das Familiengenie: schließlich hat keiner so viele Ideen gehabt wie er, steile Ideen. Du könntest sein Andenken ruhig in Ehren halten, sagt Karen, und Hebbi darauf: Tue ich das etwa nicht? Indem ich sein Genie erwähne, ehre ich sein Andenken. Und auf das Bild hinabsprechend: Du warst in Ordnung, Paulchen Krogmann, du hast kühner geträumt als die meisten, du hast nur vergessen, deine Kühnheit finanziell abzusichern. Was verstehst du vom Leben, sagt die Mutter und macht sich sanft über ihr Stück Kuchen her. Eben, sagt Hebbi, ich brauche mich nur mit ihm zu vergleichen, dann weiß ich, was mir fehlt. Wie meinst du das, fragt seine Schwester. Na, denk mal allein an seine Gründungen... an den Mut, den er, ein kleiner Lokomotivführer, zur Firmengründung hatte! Zuerst die Firma, die schnellwachsende Bäume pflanzte; für zwei Mark war man Mitglied und Eigentümer eines Baums... Oder denk an seine Wegwerf-Hemden: einmal getragen - Papierkorb... Oder an seine Tinkturen gegen körperliche Mißbildungen... Na, und seine Fabrik, in der kleine Magnete gegen Schlaflosigkeit hergestellt wurden: das soll ihm erst mal einer nachmachen. Hör auf, so zu reden, sagt Karen, Papa hat für alles bezahlt. Sicher, sagt Hebbi, mit Mamas Ersparnissen hat er alles bezahlt. So meine ich das nicht, sagt Karen, ich denke an das Unglück, bei dem er ums Leben kam.
Hebbi stellt das Bild zurück, legt den Kopf schräg und erwidert das kesse Lächeln des Lokomotivführers. Er sagt leise: Es ist nie geklärt worden, wie ein Mann von seinen Erfahrungen das Signal überfahren konnte... seine Lokomotive, sie war die erste und einzige, die die Böschung heruntergestürzt ist und in den Fluß... Wenn du nicht aufhörst, sagt Karen, du wirst noch den ganzen Geburtstag eintrüben. Die Mutter winkt ab: was versteht er schon vom Leben? Und dann bittet sie Karen, die Likörgläser zu füllen, und bevor sie trinken, wendet sie sich noch einmal an Hebbi: Hoffentlich gelingt dir, was ihm gelungen ist... hoffentlich wirst du auch mal deiner Frau zu einer so guten Witwen-Pension verhelfen... daß ich nicht klagen kann, verdanke ich ihm. Und sie nickt bestätigend, niemand wird diesen Glauben erschüttern können, niemand sie davon abbringen, in der Versorgung über den Tod hinaus das entscheidende Werk ihres Mannes zu sehen, mit dem er alles gutgemacht hat.
Die Geschwister tragen das Geschirr in die Küche, stellen es in den Handstein, stellen fest, daß sie gehen müssen, und beschließen, ein Stück gemeinsam zu gehen. Aber zart, sagt Karen, du mußt es ihr zart beibringen, daß wir nicht zum Abendbrot bleiben können. Die Mutter sitzt gesammelt da, unerschütterlich, in einer Art Trägheit, die von keiner Nachricht durchdrungen werden kann, und als Hebbi sagt: Mami, wir müssen jetzt wohl gehen, Karen und ich, reicht sie ihnen sogleich die Hand, nicht bedauernd, eher erleichtert. Die Geschwister tätscheln sie zum Abschied wie ein trauliches Monument, streifen einen Kuß an ihr ab, winken noch einmal zu ihr zurück. Beim Zufallen der Tür blickt die Mutter schnell zur Büfett-Uhr. Während die Geschwister die Treppe des Mietshauses hinabsteigen, schildert Hebbi seine Erfahrungen im Berufsleben... Du glaubst es nicht, Karen, aber es ist so... irgend etwas an mir... also was ich auch tue, nach kurzer Zeit kommen die Chefs zu mir und bieten mir gehobene Positionen an... mehr Geld... mehr Verantwortung... bei den Fensterputzern, da wollten sie mich schon nach zwei Wochen zum Kolonnenführer machen... in der Umzugsfirma: ich war kaum da - schon boten sie mir die Abteilung Packmaterial an... und jetzt wieder... jetzt soll ich die Aufsicht über alle Boten im Funkhaus übernehmen... Und, fragt Karen, wirst du's machen? - Ich? Hältst du deinen Bruder für behämmert: Nur eine einzige Sprosse auf der Karriere-Leiter, und schon ist die Gemütlichkeit futsch. Und der Friede. Und die Unschuld. Im Parterre, vor dem Niedergang zum Keller, steht eine Kinderkarre. Hebbi setzt einen Fuß hinein und hält sich dabei an der Schulter seiner Schwester fest. Am liebsten, Karen, sagt er, möchte ich mich von dir schieben lassen; zeitlebens. So wie damals.
Sie treten auf die Straße hinaus, blicken zur
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