Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Grad liegen? Und was hat sich der
Weltschöpfer eigentlich dabei gedacht, wenn man an einigen Orten vor Hitze kaum
die Straße überqueren kann und woanders die Temperatur auf minus 40 Grad fällt?
Oder es regnet vier Wochen an einem Stück?
War das
nur Zerstreutheit bei der Planung? Oder will er uns damit eins auswischen?
»Glaubst
du denn, dass du den Fragen eines ausgebufften Professors für Ästhetik gewachsen
bist?«, fragte mein Alter auf dem Weg zur Universität. Dabei trat er das Gaspedal
unseres Jaguars so tief durch, dass mein Hinterkopf gegen die Nackenstütze knallte.
»Und wäre ein Lehrstuhl in Ästhetik denn überhaupt erstrebenswert für dich?«
»Fangen
wir einfach irgendwo an. Aber wieso hast du uns bloß diesen scheußlichen Namen verpasst?
Professor Pottkämper hört sich ja an, als wenn man in einem Topf Camping machen
wollte.«
»Du legst
zu viel Wert auf Äußerlichkeiten. Wir heißen Pottkämper – wenn dir das keine Ruhe
lässt –, weil ich irgendwann mit staatlicher Billigung eine neue Identität annehmen
musste.«
»Mit staatlicher
Billigung? Was soll das heißen?«
»Na, Auslandsmission
im Staatsauftrag, zum Beispiel …«
»Und wie
lautet unser wirklicher Name?«
»Darüber
darf ich nicht sprechen.«
»Welchen
Staat meinst du? DDR oder Bundesrepublik?«
»Ich bin
in Dresden geboren.«
»Pottkämper
ist also gar nicht unser richtiger Name? Bist du etwa ein verkappter Kommunist?
Hast du nach dem Zusammenbruch der DDR deine Identität gewechselt, anstatt mit Erich
Honecker nach Südamerika zu fliehen?«
»Nein …«
»Staatssicherheit?«
»Das sind
Fragen, die man seinem alten Vater niemals stellen sollte, wenn man noch einen Funken
Anstand im Leibe hat.«
In den nächsten Tagen recherchierte
ich lange im Internet. Aber ich kam nicht viel weiter hinsichtlich unserer tatsächlichen
Identität. Es gab zwar einen gewissen Edwin Klein, der im Kunstgeschäft tätig gewesen
war und nach einer Bewährungsstrafe sechs Monate für die Fälschung eines Jackson
Pollock abgesessen hatte. (Pollock passte zur Biografie meines angeblichen Erzeugers.)
Nach seiner Entlassung könnte er dann meine Mutter geehelicht haben, die meine Stiefschwester
Anja in die Familie eingebracht hatte. Doch deren Namen wurde leider nirgends erwähnt.
Überhaupt blieb dieser Edwin Klein ziemlich nebulös für mich.
6
Professor Augustas Refugium war
ein Verschlag von drei mal vier Metern. Man hatte sein Institut ans Ende eines düsteren
Betongangs verlegt, der Ähnlichkeit mit einem Heizungskeller besaß. So armselig,
wie der Mann zwischen seinem Fotokopierer und einer verkrusteten Kaffeemaschine
hauste, verging mir auf der Stelle jegliche Lust an einem Lehrstuhl für Ästhetik.
»Da ist
ja unser Jahrhundertgenie«, begrüßte er mich mit schmallippigem Grinsen. »Wie man
munkelt, das erste Universalgenie seit Gottfried Wilhelm Leibniz?«
Mit dieser
Bemerkung hatte er bereits neun von zehn Negativpunkten auf der internationalen
Bewertungsskala erreicht. An seiner Stuhllehne hing eine grüne Jägerjoppe, und seine
Cordhose sah so abgewetzt aus, als klettere er dauernd auf irgendwelche Hochstände,
um nichts ahnendem Rotwild aus sicherer Entfernung eine Kugel in den Kopf zu schießen.
»Albert,
was ist los?«, erkundigte sich mein Vater. »Hat’s dir etwa die Sprache verschlagen?
Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen.«
»Oh, ich
… ich denke nur gerade darüber nach, ob Alexander Gottlieb Baumgarten – unser bedeutendster
deutscher Ästhetiker – wohl deshalb so früh an Schwindsucht verstarb, weil er den
vergeblichen Versuch unternahm, die ästhetischen Gesetze ähnlich der Vernunfterkenntnis
als gesichertes Wissen zu beweisen.«
Nach diesen
Worten starrte mein Vater mich an, als hätte ich ihm einen Ziegelstein auf den Kopf
geschlagen.
»Es führte
zu der absurden Annahme, dass den Sinnen ein eigenes, sozusagen allgemeingültiges
Urteilsvermögen als ›Geschmack‹ zugewiesen wurde.«
»Ein Irrtum,
den erst sein Nachfolger Kant richtig stellte?«, erkundigte sich Augusta vorgebeugt.
»Immanuel
Kant bezeichnet in der Kritik der Urteilskraft von 1790 Phänomene dann als
schön, wenn sie zweckfrei sind und ein Lustgefühl hervorrufen. Es kann keine
objektive Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sei, geben.
Denn alles Urteil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjekts,
und kein Begriff eines Objekts, ist sein Bestimmungsgrund – Paragraf
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