Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
dilettantisch.«
»Dilettantisch,
wieso?«
»Dein wirklicher
Name lautet Edwin Klein.«
»Eduard
Klein? – Nie gehört …«, sagte er und fummelte wieder mal irritiert an seinem gelben
Plastikohr, als ließe sich das Ding wie ein Hörgerät lauter stellen. (Ich fragte
mich zum wiederholten Male, warum sein künstliches Ohr eigentlich nie abfiel. War
es vielleicht angeklebt? Oder irgendwie implantiert?)
»Edwin,
nicht Eduard …«
»Na wenn
schon.«
»Er steht
auf einem Behälter mit flüssigem Stickstoff in deinem Labor.«
»Du warst
in meinem Keller? Na, wie auch immer, dann muss es sich wohl um ein Versehen handeln.«
»Auf diesen
Namen lautet jedenfalls der Adresszettel für einen Flug von New York nach Frankfurt
im Jahre 1993. Der Eigentümer der Flasche ist das Princeton Medical Center, New
Jersey , und der Adressat in Deutschland ein gewisser Edwin Klein.«
»Das ist
lange her.«
»Warst du
denn schon mal im Princeton Medical Center? Die Klinik ist nur eine Autostunde vom New York LaGuardia Airport entfernt.«
»Als wenn
ich mich nach so langer Zeit noch daran erinnern könnte …«
»Ja oder
nein?«
»Soll das
ein Verhör werden? Du benimmst dich ziemlich respektlos.«
»Ich versuche
mir nur Klarheit darüber zu verschaffen, mit wem wir es zu tun haben.«
Mein Alter
murmelte etwas, das ich nicht verstand. Er schüttelte missgelaunt den Kopf, fuhr
sich zwei- oder dreimal mit der Hand über den Mund und fluchte leise vor sich hin.
Dann setzte er das rechte Vorderrad beim Einschlagen des Lenkers ziemlich unsanft
gegen die Bordsteinkante.
»Willst
du mein Erbe ruinieren?«, fragte ich. »Bitte vergiss nicht, dass es noch Familienmitglieder
gibt, wenn du einmal das Zeitliche segnest, die auf die Almosen angewiesen sind,
die du ihnen freundlicherweise zu überlassen gedenkst.«
Wenn ich auf dem Balkon unserer
Villa stand, konnte ich am Waldrand das Haus meiner drei alten Tanten sehen. Es
war zwar vierstöckig, aber mit niedrigen Fenstern wie eine alte Bauernkate.
Ich nannte
es immer »die komische Geisterbruchbude« oder »das Hitchcockhaus«, weil es wegen
seiner Giebeltürme so gespenstisch wirkte.
Die Stiefschwestern
meines Vaters lebten sehr zurückgezogen. Ein klappriger Gärtner mit Hörgerät und
dunkler Brille kümmerte sich um die Hausarbeit und sorgte dafür, dass die Spinnweben
nicht überhand nahmen. Zu meinem zehnten Geburtstag hatten sie mich einmal zum Essen
eingeladen. Das Fleisch auf meinem Teller erinnerte verdächtig an ein »Frankenstein-Schnitzel«,
weil es irgendwie zusammengenäht aussah.
Mein angeblicher
Erzeuger vermied jeden Kontakt mit ihnen. Er behauptete, manchmal strahle ein schwaches
violettes Licht über ihrem Dach. Einmal habe ein Regenbogen vom einen Ende der Stadt
zum anderen gereicht und es hätte goldene Einsprengsel geregnet, wie bei Danziger
Goldwasser. Ich fragte ihn, ob das nicht nur ein Traum gewesen sei. Aber er wollte
nichts davon wissen und bestand darauf, dass ihre Geburt so etwas wie eine Zeitenwende
eingeläutet habe.
»Sag mal,
warum wohnen wir eigentlich nicht bei ihnen? Ich meine, deine Schwestern besitzen
dieses riesige Haus, aber drei von vier Etagen stehen leer. Das würde uns doch eine
Menge Ärger mit den Behörden ersparen.«
»Weil die
Mädels einen an der Klatsche haben.«
»Du meinst,
sie sind etwas wunderlich?«
»Nein, viel
schlimmer. Sie müssen sich bei der Geburt ein Gehirn geteilt haben.«
»Ein Gehirn
für drei Frauen?«
»Ja, aber
jede nur ein Drittel von einem Gehirn.«
Er konnte
sich so despektierlich über seine Verwandten äußern, weil sie nicht von seiner leiblichen
Mutter stammten, sondern von der ersten Frau seines Vaters, die angeblich beim Pilzsammeln
im Wald verloren gegangen war.
Es gab noch
ein weiteres Familienmitglied, den jüngeren Bruder meines Alten, doch ich habe ihn
nie kennengelernt. Angeblich trieb er sich mit gefälschten All-inclusive-Armbändern
in der Karibik herum.
Einige Zeit
später hatte ich mich selbst einmal im Wald verirrt. Das Gelände hinter den Wiesen
ist eine urzeitliche Wildnis mit vollgelaufenen Senken und umgestürzten Bäumen,
so feucht und modrig, dass die Käfer darin genauso wie die Waldgrillen niemals enden
wollende Feste feierten. Plötzlich stand ich wieder vor dem Haus meiner Tanten.
Durch die
beschlagenen Scheiben konnte ich erkennen, dass sie an einem großen Holztisch arbeiteten,
um Brot zu backen. Sie kneteten den Teig mit ihren knöchrigen alten Händen und
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