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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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Gelüsten
mitreißen lassen.
    In den Königreichssälen finden fünf Arten von Zusammenkünften statt: das »Wachtturm-Studium«, das »Versammlungsbuchstudium«,
bei dem ein Buch oder Text interpretiert wird, die »Dienstzusammenkunft« als Unterstützung
für den Predigtdienst, die »Theokratische Predigtdienstschule« und die »Zusammenkunft
für die Öffentlichkeit« mit Vorträgen.
    Die einzige
Chance, sich einem dieser verschämten Wesen zu nähern, ist der sogenannte öffentliche
Vortrag, eine Art Predigt mit wenig Gesang.
    Wie üblich
ging ich zuerst durchs Foyer, musterte die anwesenden Mädchen und setzte mich dann
in die hinterste Reihe, um den Überblick zu behalten.
    Da war eine,
die ein schlichtes graues Kleid mit dunkelgrünem Kragen trug. Gar nicht mal übel,
was die Figur anbelangte. Sie hob kaum den Blick, ihr Kopf war nach unten geneigt
und ihre zartgliedrigen Finger umschlossen ein Gesangbuch. Sie hatte die Ausstrahlung
einer Heiligen – diese unbeschreibliche Aura, die einem signalisiert, dass man völliges
Neuland betreten wird.
    Vor Beginn
der Veranstaltung ging ich hinüber und fragte sie mit möglichst unbeteiligter Stimme:
»Haben Sie mein Gesangbuch gesehen?«
    »Bitte?«
    »Ich kann
mein Gesangbuch nicht finden.«
    »Oh, dann
… schauen Sie doch einfach in meines …«
    »Das ist
überaus nett.« Ich streckte leutselig meine Hand aus. »Albert Pottkämper.«
    »Sind Sie
… ein Andersgläubiger ?«
    »Nein, wie
kommen Sie darauf?«
    »Weil ich
Sie noch nie gesehen habe.«
    Ich schüttelte
den Kopf und murmelte etwas, das ich selbst nicht verstand. Kaum hatte der Gesang
begonnen, schmiegte ich mich immer enger an sie.
    Bei dieser
Berührung lief ein Zittern wie ein Erdbeben durch ihren Körper.
    Sie war
höchstens 15 Jahre alt, aber die erotischen Spannungen, die sich bei unserem Kontakt
entluden, raubten mir fast das Bewusstsein. Keiner dieser Pornofilme mit ihrer albernen
Sexualmechanik, bei denen immer sämtliche Körperteile in alle Körperöffnungen passen,
hätte auch nur annähernd dieselben Schwingungen erzeugen können.
    Ich fühlte,
dass ihr Atem schneller wurde, wir begannen zu schwitzen. Also drängte ich mich
noch enger an sie, bis ich ihre festen Brüste spürte.
    Gleich darauf
wurde mir schwarz vor Augen … und plötzlich schien es tatsächlich, als würden wir
beide durch den Sog des Gesangs in die Luft gehoben …
    Dann sah
ich mich auch schon mit ihr unter der Decke des Königreichssaals schweben, den Arm
um ihre schlanke Taille gelegt, während die anderen Besucher – herausgeputzte Frauen
und Männer in dunklen Anzügen – mit offenen Mündern zu uns hinaufstarrten …
    Wir drehten
ein paar Runden unter der hölzernen Saaldecke, aber irgendwie schienen wir nicht
wirklich von der Stelle zu kommen.
    »Um Gottes
willen – was ist mit Ihnen, Albert«, flüsterte das Mädchen. »Ich glaube, Sie sind
ohnmächtig geworden.«
    »Es … wo
bin ich …?«
    »Soll ich
einen Arzt rufen?«
    »Nein, danke,
geht schon wieder.«
    Ich murmelte
wie in Trance eine Entschuldigung und stand mit wackligen Knien auf. Wahrscheinlich
sah ich ziemlich verstört aus dabei.
    Als ich
mich nach ihr umblickte, saß sie immer noch da, das Gesangbuch fest mit beiden Händen
umklammernd, die hübschen Beine in den Parkettboden gestemmt. Sie wirkte kaum weniger
verwirrt als ich. Erst draußen vor der Saaltür wurde mir bewusst, dass ich gerade
Zeuge einer leibhaftigen Levitation geworden war.

8
     
    Ein Krösus wie Schlagersänger Herbert
quartiert sich natürlich im teuersten Hotel ein, schon, um nicht als Jodler zweiter
Klasse dazustehen. Wenn ich diese Monsterhallen aus Marmor und verspiegelten Wänden
betrete, die man so gern untertreibend »Foyer« nennt, fallen mir immer die Hungrigen
der Welt ein, wie sie gerade ihre kümmerlichen Essensreste aus verbeulten Aluminiumtöpfen
kratzen.
    »Wohin des
Weges, junger Mann?«, fragte der Portier. »Sind Sie Gast?«
    »Noch nicht
– aber ich könnte einer werden, falls Sie Ihre goldbedampften Spiegel der Caritas
spenden.«
    »Das ist
glücklicherweise in einem Rechtsstaat immer noch Sache der Betreiber.«
    »Die Freiheit
der Satten.«
    »Jetzt aber
raus, der Herr Sozialreformer …«, sagte er und zeigte zur Drehtür.
    Sein Gesicht
war gerötet, was auf hohen Blutdruck hindeutete, und er sah wild entschlossen aus,
keinen Zweifel an seiner Rolle als mächtigster Mann im Foyer aufkommen zu lassen.
Also ging ich doch lieber wieder hinaus und suchte

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