Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Grund Auskunft geben würde.
Es dauerte
20 Minuten, bis ein smarter junger Arzt im weißen Kittel Zeit fand, meine Frage
zu beantworten. Ich kam gleich zur Sache. Ich gestand ihm, dass ich zwar mit Holly
Chappell hergekommen sei, ihn aber lediglich zu den Versuchen befragen wolle, Einsteins
Gehirn zu stehlen.
»Sind Sie
vom Easton Chronicle?«, fragte Doktor Hamilton.
»Nein, wieso?«
»Und Sie
wollen wissen, was beim ersten Versuch gestohlen wurde?
»Ich schreibe
gerade eine Klassenarbeit über Einstein. Da bietet sich’s natürlich an, mit echten
Recherchen zu punkten – ich meine, wenn ich schon mal zu Holly Chappells Behandlung
in der Gegend bin?«
»Verstehe.
Das war noch bis vor wenigen Tagen unser gut gehütetes Geheimnis. Aber Sie haben
Glück, inzwischen gab es eine kleine Indiskretion«, fügte er augenzwinkernd hinzu.
»Jemand in der Klinik hat geplaudert und der Easton Chronicle – ein Provinzblatt
nördlich von Princeton – wird wohl in der nächsten Wochenausgabe versuchen, mit
der Neuigkeit das große Geld zu machen.«
»Welche
Neuigkeit …?«
»In der
Stickstoffflasche befand sich eine Samenspende Albert Einsteins, die zwei Jahre
vor seinem Tod entnommen worden war, für spätere Untersuchungen seiner Erbfaktoren,
verständlicherweise mit der Bitte um Diskretion. Zum Glück war schon einige Zeit
vorher die Einfriertechnik mittels flüssigem Stickstoff praxistauglich geworden
und alle Versuche deuteten auf eine längere Haltbarkeit von Spermien hin.«
»Verstehe
ich Sie richtig? Beim ersten Versuch, Albert Einsteins Gehirn zu stehlen, hat man
versehentlich einen Stickstoffbehälter mit seiner Samenspende entwendet?«
»Weil Einsteins
Gehirn erst im Jahre 1998 zurückgegeben wurde, vermuten wir, aber auf dem anderen
Behälter der Name Albert Einstein klebte.«
»Erinnern
Sie sich an das Datum, wann die Stickstoffflasche gestohlen wurde?«
»Nein, das
ist lange her. Oder warten Sie, doch … jetzt fällt’s mir wieder ein. Es war der
Geburtstag meiner ältesten Tochter am 15. März 1993. Ich weiß noch, dass man mich
während der Familienfeier anrief, sofort in die Klinik zu kommen.«
»Danke,
Sie haben mir sehr geholfen.«
Ich war etwas benommen, als ich
ins Wartezimmer zurückkehrte. Ich schnappte ein paar Mal nach Luft und war ziemlich
wacklig auf den Beinen. Es musste aussehen, als hätte ich einen Erstickungsanfall.
Die einzige
Besucherin im Wartezimmer – eine verhärmte junge Frau mit dunklen Knopfaugen – warf
mir besorgte Blicke zu. Ich ging hinüber – mit der Hand vorsichtshalber die Wand
entlangtastend – und stellte das Fenster auf Kipp.
»Bitte,
entschuldigen Sie …darf ich?«
»Ist Ihnen
nicht gut?«
»Keine Ahnung,
wie es mir geht – und ob es mir in meiner Situation eher schlecht als gut gehen
sollte. Ich glaube, ich bin momentan etwas …«
Ich verkniff
es mir lieber, weiterzusprechen. Womöglich besaß die Klinik ja auch eine Fachabteilung
für Psychiatrie. Das falsche Wort zur falschen Zeit kann unabsehbare Folgen heraufbeschwören.
Offenbar
hatte mein Alter nur versehentlich Einsteins Samenspende entwendet. Was bedeutete
das? ICH WAR ALBERT EINSTEINS SOHN … ICH WAR EINSTEINS GEHIRN! Mal abgesehen von
den kleinen Abweichungen, die das Spiel der Gene bei jedem geglückten Versuch der
Vereinigung mit uns treibt …
Spontan
fiel mir dazu ein, ohne deswegen gleich in Geringschätzung seiner Person oder in
Größenwahn versinken zu wollen, dass mein leiblicher Vater in philosophischen Fragen
durchaus nicht immer ein geistiger Leuchtturm gewesen war. Nehmen wir nur das Problem
der absoluten Zeit. Natürlich gibt es sie doch, wie Newton richtig meinte. Nur ist
sie nicht messbar und hat keinen praktischen Wert, weil jede Messung nun einmal
an Materie und Energie und Beobachtung bewegter Systeme gebunden ist. Aber was sich
nicht messen lässt, kann trotzdem existieren.
Noch am Nachmittag desselben Tages
fuhr ich zur Lincoln Correctional Facility nahe beim Central Park, wo Elias
Witzigmann einsaß. Ich kam gerade noch rechtzeitig zur nachmittäglichen Besuchsstunde.
Das Lincoln
ist ein Gefängnis mit geringerer Sicherheitsstufe. Nachdem man meine Sachen und
Papiere überprüft hatte, ließ man uns im Besucherraum allein.
Witzigmann
war ein hagerer alter Mann mit hoher Stirn und langem dünnem Hals und der Physiognomie
nach eher Aristokrat als Verbrecher. Sein hüpfender Adamsapfel sah irgendwie kurios
aus beim Sprechen. Schwer vorstellbar, dass
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