Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Stelle in Ohnmacht.
»Wie heißt
dein Angebeteter eigentlich mit bürgerlichem Namen?«, fragte ich.
»Harry Miller.«
»Gott, wie
grauslich. Warum nicht gleich Henry Miller? Dann soll er doch besser bei Tennessee
Williams bleiben.«
»Ich glaube,
Harry liebt die Frauen gar nicht wirklich. Eigentlich liebt er nur sich selbst.
Ich meine, genaugenommen liebt er nur seinen … na ja, du weißt schon …«
»Körper?«
»Stell dich
nicht so blöd, Albert. Du weißt doch, woran Männer immer herumfummeln.«
»Verstehe
…«
»Wenn er’s
bloß nicht so übertreiben würde.«
»Was heißt
denn übertreiben?«
»Fünf- bis
zehnmal täglich.«
»Das wäre
wirklich viel …«
»Ich begreife
einfach nicht, was ein erwachsener Mann wie er daran findet.«
» Masturbation
ist Sex mit dem einzigen Menschen, den man wirklich liebt – Woody Allen.«
»Hätte mich
auch gewundert, wenn dir dazu kein Zitat eingefallen wäre.«
Eigentlich
liebte Holly meine Zitate. Aber man kann schließlich nicht ständig sagen: »Tolles
Zitat« – »Passt wie die Faust aufs Auge« – oder »Muss ich mir merken.« Da ist Kritik
noch allemal die leichtere Übung.
Auf Hollys
Partys ging es ziemlich abgedreht zu. Die buntesten Vögel tauchten erst nach Mitternacht
auf. Manche trugen schwarze Ledermäntel, die so abgewetzt aussahen, als stammten
sie aus der Kleidersammlung. Andere machten auf Karibik und kamen selbst noch in
geblümten Hemden und hauchdünnen Shorts, wenn es in Strömen regnete. Sie streifen
einfach mit der Handkante die Tropfen von ihren braun gebrannten Armen und plusterten
sich auf, als wenn sie gleich mal eben zur Demonstration aus dem 20. Stock in den
Hudson River springen wollten.
Die Frauen
waren zwischen 16 und 76. Und die 76-Jährigen benahmen sich wie 16-Jährige und die
16-Jährigen wie 76-Jährige. Ältere Frauen waren oft grell geschminkt oder trugen
dunkle Sonnenbrillen. Die Kerle liefen mit wiegendem Gang und abgespreizten Armen
durch die Zimmerfluchten, immer auf der Suche nach jemandem, der sich zur Paarung
eignete. Einigen waren vom Koksen die Zähne ausgefallen; andere hatten zwar noch
welche, zeigten einem aber bei jeder Gelegenheit ihre leicht verklebten, ungepflegten
Zahnstümpfe. Es wurde nämlich viel und lange geredet. Ich war mehr als einmal geneigt,
mit Epikur zu sagen:
» Man
muss beachten, dass eine lange und eine kurze Rede auf dasselbe herauskommen .«
Obwohl ich
mich nach Kräften wehrte, wurde ich auf Hollys Partys herumgereicht wie das x-te
Weltwunder. Sie liebte es, mich in den Mittelpunkt zu stellen, als habe sie in Europa
ein seltenes Tier eingefangen oder Franz Kafkas sprechenden Affen.
Ich glaube,
zwei Tage vor Hollys Geburtstag kannten mich ungefähr 97,3 Prozent der Bevölkerung
von New York, und es wurden täglich mehr. Man wollte wissen, ob es bald ein Mittel
gegen AIDS gebe. Ob das Empire State Building jede Woche 0,00098 Millimeter oder
0,00089 Millimeter im Morast versinke. Oder ob sich das Wasser aus den Leitungen
der Stadt noch zum Baden von Säuglingen eigne.
Eine dünne
60-Jährige, deren Hakennase so groß war wie eine Diskusscheibe, fragte mich, wann
der erste Kormoran im Central Park gelandet sei, 1536 oder 1786. Ich beantwortete
alle Fragen so gut ich konnte. Es ist nicht meine Art, Menschen abschlägig zu bescheiden
oder vor den Kopf zu stoßen. Trotzdem fand ich in all dem Tohuwabohu noch Zeit,
um mit meiner Schwester auf den Neuen Hebriden zu telefonieren.
»Wie geht’s?«,
fragte ich. »Bist du schon schwanger?«
»Soll das
ein Witz sein?«
»Wieso,
was ist passiert? Hat Herbert dir den Laufpass gegeben?«
»Nein, wir
gehen auf Hochzeitsreise.«
»Denk lieber
noch mal über deine Entscheidung nach, Anja.«
»Und wozu?«
»Es gibt
Weichenstellungen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen.«
»Herbert
will in eine Alpenhütte, ich möchte auf die Bahamas.«
»Die Ehe
ist eine Institution, um Probleme zu lösen, die man allein nie gehabt hätte.«
»Woody Allen
– ja, ich weiß.«
» Was
immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch
zieht, auch noch zu trinken – Erich Kästner.«
»Lass die
blöden Zitate.«
»Wieso bist
du denn plötzlich so empfindlich? Hört sich nach Menstruationsproblemen an.«
So ging
es noch eine Weile hin und her. Geschwister neigen nun mal nicht dazu, besonders
zartfühlend miteinander umzugehen. Das Schicksal hat sie ungefragt zusammengeschweißt,
und was dabei herauskommt,
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