Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
ziehen.«
»Und wenn
sich meine Einschätzung morgen ändert? Wer weiß schon, was die Zukunft bringt.«
»Es ist
wie bei einem Spiegel«, sagte ich.
»Bei einem
Spiegel, wieso?«
»Jeder weiß
doch, dass ein Spiegel alles spiegelverkehrt zeigt. Kannst du mir sagen, ob das
auch für die Zeiger der Uhr gilt? Hast du darüber schon mal nachgedacht? Die Zahlen
sind spiegelverkehrt, so viel ist klar. Aber laufen die Zeiger auch entgegengesetzt
zum Uhrzeigersinn?«
»Keine Ahnung
…«
»Und würdest
du von einem so ungewissen Urteil deine Entscheidung über Leben und Tod abhängig
machen?«
»Nein. Was
willst du mir denn damit sagen?«
»Du befindest
dich in einer Ausnahmesituation, Holly. Es ist wie bei der Illusion, die durch Spiegel
erzeugt wird. Selbst die Uhrzeiger laufen anders herum. So wie der Spiegel nicht
die Realität spiegelt, so ist auch dein augenblicklicher Schmerz nicht die wahre
Situation. Du blickst nach innen. Aber irgendwann wirst du wieder nach außen sehen
und die Dinge an ihrem gewohnten Platz finden. Gefühle bleiben nicht wie sie sind.«
»Dann ist
mein Problem nur vorübergehend?«
»So wahr
ich Albert Pottkämper heiße. Bald laufen die Zeiger der Uhren wieder anders herum.«
15
Holly Chappell hatte beschlossen,
sich doch nicht das Leben zu nehmen. Sie lud mich zu ihrer Geburtstagsparty ein.
Ich glaube, sie konnte mich einfach gut leiden, weil ich ihr das Leben gerettet
hatte.
Schon acht
Tage vor ihrem Geburtstag begann sie mich von Event zu Event zu schleppen. Dabei
stellte sie mich immer als »künftigen Nobelpreisträger« und »engen Freund des Dalai
Lama« vor. Es war etwas nervig, aber Holly war wirklich sehr attraktiv. Mir verschlug
es schon den Atem, wenn mein Blick nur ganz zaghaft die pfirsichfarbene Haut ihres
Unterarms hinaufwanderte. Noch ein Stück weiter nach oben und ich sah wieder tausend
Sterne …
Ich legte
ein Tagebuch an, in dem ich meine Gefühle festhielt, ein dünnes gewelltes Notizheft
aus dem Billigladen an der Ecke. Doch schon ein paar Tage später warf ich es entnervt
in eine Mülltonne in Greenwich Village, weil selbst der Inhaber seiner Gefühle sich
nicht noch einmal mit etwas so Unwägbarem wie vergangenen Gefühlen befassen will.
Ich dachte jeden Tag an Charlotte und blieb ihr in Gedanken treu, hielt es aber
sicherheitshalber mit Woody Allen:
Schön, wenn
man die Frau fürs Leben gefunden hat. Schöner, wenn man noch ein paar mehr kennt.
Holly lud
mich ein paar Mal ins Studio ein, wo sie gerade einen Film mit dem Titel »Katzen
auf dem Blechdach« drehte. Ich sagte, es gebe schon einen Film, der »Die Katze auf
dem heißen Blechdach« heiße, aber sie meinte, das Blechdach in ihrem Film sei nicht
heiß sondern ziemlich kalt, weil die Handlung im Norden Kanadas spiele.
Sie schmuste
viel mit mir während der Dreharbeiten und ließ sich ungefähr sechsmal in der Stunde
auf den Hals küssen, angeblich, weil sie das beruhigte. Es gab einen eifersüchtigen
Hauptdarsteller namens Tennessee Williams, der immer herüberkam, wenn wir es uns
in den Pausen gemütlich machten, und sich erkundigte, ob wir etwas Butterbrotpapier
für ihn hätten oder Tesafilm oder irgendeine andere Hirnrissigkeit.
Ich fragte
ihn, ob er sich vielleicht für den Tennessee Williams halte, der das Theaterstück
»Die Katze auf dem heißen Blechdach« geschrieben habe. Der war nämlich schon 1983
verstorben.
»Nein, Williams
ist nur mein Künstlername.«
»Etwas unglücklich,
oder?«
»Unglücklich,
wieso?«
»Weil es
zu Verwechslungen führen könnte.«
»Oh, ich
habe erst vor kurzem erfahren, dass es einen Drehbuchschreiber gleichen Namens gibt.«
So waren
sie, die Leute auf dem Set! Fragte man sie, was sie von Faulkner oder Goethe hielten,
dann antworteten sie schon mal, dass sie es momentan wegen schlechter Qualität und
überhöhter Preise aufgegeben hätten, auswärts zu essen. Aber auch zu Hause fiel
ihnen leicht mal das Bügeleisen auf die Füße oder sie gossen sich versehentlich
kochendes Wasser in den Whisky.
Ich brauchte
einige Zeit, bis ich herausfand, dass Tennessee der Anlass für Hollys Selbstmordversuch
war. Sie ließ sich nur von mir auf den Hals küssen, um ihn eifersüchtig zu machen.
Doch der eigentliche Grund für ihr Problem lag tiefer. Holly fühlte sich zwar körperlich
zu ihm hingezogen, fand seine affektierte Art aber so unerträglich, dass sie es
einfach keine halbe Stunde mit ihm aushielt. Sobald er den Mund aufmachte, fiel
sie auf der
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